Kommentar von Martha Kiiza Bakwesegha-Osula1) | 19. April 2022
Nairobi (IPS/afr). Nach der militärischen Invasion Russlands in der Ukraine am 24. Februar hat die internationale Gemeinschaft mit einer Mischung aus Schock, Wut und Angst reagiert. Gleichzeitig wägte sie die Auswirkungen des Krieges auf die internationale Sicherheit ab.
Subsahara-Afrika, das lange Zeit als Randfigur in der Weltpolitik angesehen wurde, war da keine Ausnahme. Vor allem Kenia hat die russische Aggression vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit scharfen Worten verurteilt.
Seitdem haben Senegals Präsident Macky Sall, derzeitiger Vorsitzender der Afrikanischen Union (AU), und Moussa Faki, Vorsitzender der AU-Kommission, Russland dazu aufgefordert, „das Völkerrecht, die territoriale Integrität und die nationale Unabhängigkeit der Ukraine zu respektieren“.
Abgesehen von den Stellungnahmen aus Kenia und der AU sind die Reaktionen aus Afrika wenig einheitlich. Viele Länder des Kontinents haben sich dafür entschieden, Stillschweigen zu bewahren – möglicherweise aus Angst, Russland zu verärgern. 28 afrikanische Staaten unterstützten am 2. März die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen, in der die Invasion verurteilt wurde. 17 enthielten sich, einer (Eritrea, Anm.) lehnte die Resolution ab.
Die unterschiedlichen Auffassungen in der Region werden noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass sich Kenias Nachbarland Uganda der Stimme enthielt – vorgeblich wegen seiner „blockfreien“ Haltung in globalen Angelegenheiten. Gleichzeitig brachte Muhoozi Kainerugaba, Sohn des ugandischen Präsidenten und Kommandant der Streitkräfte, seine Unterstützung für Russland auf Twitter zum Ausdruck. (Das Twitter-Konto von Kainerugaba wurde am 11. April 2022 gesperrt, Anm.).
Son of President Museveni, and Commander of Uganda’s land forces, Lt Gen Muhoozi Kainerugaba, has expressed support for the Russian invasion of Ukraine.
— BBC News Africa (@BBCAfrica) March 1, 2022
He tweeted that „the majority of mankind (that are non-white) support Russia’s stand in Ukraine“.https://t.co/9lWkgJzqJN pic.twitter.com/BwaADIaLbE
Geoprovinzielle Linse
Die traditionellen Rollen in der internationalen Politik scheinen damit zumindest vorübergehend vertauscht. Der Kontinent galt lange Zeit als Synonym für sinnlose bewaffnete Konflikte, der daran gewöhnt war, mit herablassender Rhetorik bedacht zu werden und Zielgebiet von Projekten der Konfliktlösung zu sein. Nun findet sich der Kontinent in der Rolle des „Friedensstifters“ wieder – vis-à-vis dem zivilisatorisch „Überlegenen“, nämlich Europa.
Westliche Journalist*innen und Akademiker*innen tun sich schwer, das Blutbad, die Zerstörung und die Vertreibung in der Ukraine zu erklären. Sie verharren in analytischen Narrativen, die Konflikte auf der Grundlage von ethnischer Zugehörigkeit und anderen ursprünglichen Identitätsfaktoren begründen, die mit „kulturell Rückständigen“ in Subsahara-Afrika und in der Arabischen Welt assoziiert sind.
Die aktuelle Situation sollte uns daher als düstere Mahnung dienen, dass Konflikte grundsätzlich von Gier, Opportunismus und anderen materialistischen Bestrebungen angetrieben werden – und nicht von Identität, Kultur oder atavistischen Faktoren.
Subsahara-Afrika hat viele zwielichtige, kriegslüsterne Führer erlebt, die erpicht darauf waren, militärische Macht zum Zwecke ihrer persönlichen Bereicherung zu nutzen. Aber nur wenige von ihnen haben die internationale Meinung so unverfroren zurückgewiesen wie Wladimir Putin.
Die Berichte über afrikanische Student*innen, die versuchen, aus der Ukraine zu fliehen und denen aufgrund ihrer Hautfarbe die Einreise in Nachbarländer verwehrt wurde, erinnern daran, dass Rassismus in weiten Teilen Europas und der westlichen Welt auch Jahrhunderte nach dem Ende der Sklaverei immer noch spürbare Realität ist.
Die AU verurteilte in ihrer Erklärung vom 28. Februar jedoch nur den Rassismus gegen Afrikaner*innen, obwohl über ähnliche Vorfälle gegenüber Menschen aus dem Kaukasus oder arabischen Ländern berichtet wurde. Das zeigt deutlich die geoprovinzielle Linse, durch die viele den Russland-Ukraine-Konflikt betrachten. Und sie weist auf eine anhaltende Balkanisierung in einer Ära hin, die trotz der vermeintlichen Globalisierung auf ethnischer Identität beruht.
Afrikas Beziehungen mit Russland
Afrika ist ein großer Kontinent mit 54 Ländern. Jeder Versuch, die Erfahrungen dieser Länder zu verallgemeinern, ist unvermeidlich mit analytischer Ungenauigkeit behaftet. Doch für viele Länder des Kontinents ist der geopolitische Einfluss Russlands im Vergleich zu den anderen vier ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats gering.
Auch wenn die Vereinigten Staaten und China in der Vorstellung vieler heute eine große Rolle spielen, nutzen ehemalige Kolonialmächte wie Großbritannien und Frankreich weiterhin historische, sprachliche und kulturelle Beziehungen als Grundlage für einen gewissen – zugegebenermaßen schwindenden – Einfluss. Russland muss sich mit dem Rest zufriedengeben.
Viele afrikanische Regime, die in der Vergangenheit von der Sowjetunion unterstützt worden waren, sind im Lauf der Jahre abgelöst worden. Russlands Anspruch auf Ruhm, der auf einer Kalter-Krieg-Nostalgie fußt, ist verblasst. Moskau musste ein neues Repertoire und einen neuen Rahmen für Beziehungen entwickeln, die auf Sicherheitskooperation, Handels- und Investitionsbeziehungen sowie auf politische Solidarität – insbesondere im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – basieren.
Einige afrikanische Länder sind wichtige Abnehmer für russische Agrarprodukte wie Weizen. In erster Linie basieren die Handelsbeziehungen jedoch auf russischen Exporten2) – wodurch Subsahara-Afrika im Vergleich zu Europa weit weniger abhängig von den Handelsbeziehungen ist. Kurz gesagt: Russlands Invasion und die weltweiten Reaktionen darauf stellen eine viel größere Bedrohung für Europa dar als für Subsahara-Afrika – sowohl in wirtschaftlicher als auch geopolitischer Hinsicht.
Folgen des Konflikts für Afrika
Vor diesem Hintergrund hat Russlands Invasion in der Ukraine mindestens drei Konsequenzen für die künftigen Beziehungen mit Afrika. Erstens ist der Krieg ein weiterer Beleg dafür, dass heutige Konflikte – ob zwischen- oder innerstaatlich – weitgehend von materiellen Faktoren angetrieben werden, die gelegentlich von Identitätspolitik überdeckt werden.
Zweitens verstärken die starken Reaktionen der NATO und der EU zur Unterstützung der Ukraine – obwohl das Land weder da noch dort Mitglied ist – die von afrikanischen Politiker*innen seit langem bestehende Auffassung, dass regionale Krisen am besten von regionalen Akteuren in der Nachbarschaft des Konflikts gelöst werden sollten. Insbesondere im Vorfeld der von der NATO geführten Militärkampagne, die zum Sturz des früheren libyschen Staatsoberhaupts Muammar al-Gaddafi geführt hatte, war diese Position immer wieder betont worden. Mit anderen Worten: Europäische Probleme brauchen europäische Lösungen!
Das bedeutet aber auch, dass die AU sowie subregionale Organisationen wie die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und die zwischenstaatliche Entwicklungsbehörde IGAD weniger Gegenwehr erwarten sollten, wenn sie die Führung bei der Lösung von Konflikten in ihrer Region übernehmen wollen. Gleichzeitig sollten sie aber auch wichtige Lehren aus dem schnellen Handeln der NATO zum Schutz „ihrer eigenen“ Bündnispartner ziehen.
Schließlich erinnert der Russland-Ukraine-Konflikt daran, dass selbst in einer vermeintlich multilateralen Welt internationale Antworten auf politische und wirtschaftliche Herausforderungen eher durch geostrategisches Kalkül als durch philanthropische Ideale geprägt sind.
Die mediale, politische und diplomatische Aufmerksamkeit, die der Ukraine während der Invasion zuteil wurde, geht weit über jene hinaus, die ähnlichen Konflikten in Subsahara-Afrika und anderen Teilen der Welt zuteil wurde. Das ist ein Beleg dafür, dass wir in einer Welt leben, in der tatsächlich jeder Kontinent oder jede Subregion auf sich alleine gestellt ist. (Ende)
1) Martha Kiiza Bakwesegha-Osula ist Beraterin für globale Politik und Friedensförderung am Life and Peace Institute in Nairobi, Kenia. Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten und Meinungen entsprechen der persönlichen Meinung der Autorin und können nicht Personen, Institutionen und Organisationen zugeschrieben werden, mit denen die Autorin möglicherweise in persönlicher oder beruflicher Verbindung steht.
2) Über das Handelsvolumen zwischen Afrika und Russland gibt es unterschiedliche Angaben. Die Ecofin Agency beruft sich auf Angaben der Trade Map der WTO und nennt für das Jahr 2020 Importe aus Russland in Höhe von 12,4 Mrd. US-Dollar und afrikanische Exporte in Höhe von 1,6 Mrd. US-Dollar. Russlands Anteil am gesamten Handelsvolumen Afrikas liegt damit bei 2,4% - jener von China bei 19,6%. In einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur TASS spricht Benedict Oramah, Präsident der Afreximbank, von Importen aus Russland in Höhe von bis zu 14 Mrd. US-Dollar und Exporten in Höhe von fünf Mrd. US-Dollar.
Titelbild: Moussa Faki, Vorsitzender der Kommission der Afrikanischen Union (AU), hat gemeinsam mit dem AU-Vorsitzenden Macky Sall Russland dazu aufgefordert „das Völkerrecht, die territoriale Integrität und die nationale Unabhängigkeit der Ukraine zu respektieren“. (Foto: Alexandros Michailidis, Shutterstock.com)