Von Issa Sikiti da Silva | 21. September 2012
Dakar (IPS/afr). Fatou, Awa und Aissatou Gaye sitzen auf dem Kachelfußboden vor ihrem Haus in Keur Massar, einem Township in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Fatou ist mit ihren 40 Jahren die älteste der drei Frauen, Awa ist 32, Aissatou erst 24. Sie sind die Frauen von Ousmane Gaye, der bald wieder heiraten will, „um dem islamischen Recht Genüge zu tun“, wie er sagt.
„Sie mögen sich gerne und leben wie Schwestern harmonisch zusammen“, so der 50-jährige Geschäftsmann. Doch diese Wahrnehmung teilen nicht alle, die die Familie kennen. „Letzte Nacht wurde Aissatou von Fatou und Awa verprügelt“, erzählt eine der Familie nahestehende Person, die namentlich nicht genannt werden will. „Sie behaupten, Aissatou verhexe ihren Mann, damit er sie mehr liebt als die beiden älteren Frauen.“ Seit Gaye vor drei Jahren die jüngste seiner Ehepartnerinnen geheiratet hat, sei die Atmosphäre in seinem Haus vergiftet.
Den Frauen ist es verboten, mit Fremden über ihre Eheprobleme zu sprechen – auch nicht mit Nachbarn, Frauenrechtlerinnen oder Eheberatern. Auch dürfen sie sich nicht über ihr Leben beklagen, da sie alles haben was sie brauchen: Essen, Kleidung und Sex.
„Polygamie ist Sklaverei“
„Polygamie ist eine Art moderner Sklaverei“, sagt die in Dakar lebende Aminata (Name von der Redaktion geändert), die heimlich Frauen berät, deren Männer polygam leben. „Die Frauen haben keine Stimme und keinerlei Möglichkeit, sich anderen anzuvertrauen und über ihre Probleme zu sprechen.“
Aminata war selbst 18 Jahre lang mit einem Mann verheiratet, der mehrere Frauen hatte, doch mittlerweile ist sie geschieden. „Polygamie verletzt die Prinzipien der Geschlechtergleichheit und bremst Frauen in ihrer Entwicklung aus“, sagt sie. „Frauen sind in allen Bereichen benachteiligt – sei es beim Zugang zu Bildung und Land, sei es beruflich oder in Bezug auf das Erbschaftsrecht. Und das, obwohl unsere Verfassung die Gleichheit zwischen Mann und Frau vorsieht.“
Das senegalesische Gesetz für Geschlechtergleichheit vom Mai 2010 hat immerhin dafür gesorgt, dass im aktuellen Parlament unter den 150 Abgeordneten auch 64 Frauen sitzen. Das von Traditionalisten und muslimischen Hardlinern scharf kritisierte Gesetz sieht vor, dass die Hälfte der Kandidaten aller politischen Parteien auf lokaler und nationaler Ebene Frauen sind.
Doch ansonsten kann von Gleichberechtigung in dem westafrikanischen Land nicht die Rede sein, wie verschiedene Untersuchungen zeigen. Dem „Global Gender Gap Report 2011“ zufolge, den das „World Economic Forum“ seit 2006 jedes Jahr neu herausgibt, liegt Senegal auf Platz 92 von 135 Ländern. Der Index misst die Gleichstellung von Männern und Frauen in Bezug auf wirtschaftliche Beteiligungsmöglichkeiten, Bildungsniveau, politische Macht, Gesundheit und Überlebensfähigkeit.
Auch ein USAID-Bericht vom April 2012 bestätigt die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern im 12,9 Millionen Einwohner zählenden Senegal. „Die Implementierung nationaler Gesetze und internationaler Abkommen zur Gleichstellung der Geschlechter und zu Frauenrechten hinkt hinterher“, heißt es in dem Bericht mit dem Titel „USAID Senegal Gender Assessment“. Der Regierung fehle es darüber hinaus an einem Plan, um dies zu ändern. Dem Report zufolge haben 39 Prozent der jetzt 20- bis 24-jährigen Senegalesinnen bereits vor ihrem 18. Lebensjahr geheiratet. Damit liegt Senegal im Ländervergleich mit insgesamt 68 Staaten auf Platz 27.
Polygamie zunehmend auch in Städten
Die meisten Männer, die sich auf der Place d’Independance im Stadtzentrum von Dakar von IPS interviewt wurden, sprachen sich für Polygamie aus. Lamine Camara, ein 22-jähriger Student an der Cheik-Anta-Diop-Universität von Dakar, sagte, er wolle lieber mehrere Frauen heiraten als „fremdzugehen“. Auf diese Weise sei auch die Gefahr gebannt, sich mit dem HI-Virus zu infizieren.
„Früher war diese Praxis hauptsächlich in ländlichen Gebieten verbreitet. Aber in den letzten Jahren hat sie auch die Städte erreicht – in einer alarmierenden Geschwindigkeit“, sagt Fanta Niang, Sozialarbeiterin und Gender-Aktivistin in Senegals drittgrößter Stadt Thies. Männer lassen sich ihren Aussagen zufolge immer früher auf mehrere Ehen ein. „Sie werden immer jünger.“
Zahlen, wie viele polygame Ehen geschlossen werden, gibt es nicht. „Es hieß mal, dass eine von vier in den Städten geschlossenen Ehen polygam sei und eine von drei in ländlichen Gebieten. Aber ich bin mir sicher, dass es mehr sind“, sagt Niang. Leider seien die meisten Frauen in polygamen Ehen Analphabetinnen mit einem niedrigen Bildungsstand, die häufig ihre Rechte nicht kennen und nicht wissen, wie sie sich wehren können. (Ende)
Titelbild: Frauen bei einer traditionellen Zeremonie zur Feier einer polygamen Hochzeit (Bild: Fatuma Camara/IPS)
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