Von Amy Fallon | 7. Juni 2013
Kampala (IPS/afr). Phiona Mutesi war neun Jahre alt, als sie auf der Suche nach Nahrung im größten Slum der ugandischen Hauptstadt Kampala auf einen Schachverein stieß. Dass sich das Mädchen sofort in eine Partie vertiefte, lag nicht an den Bauern, Türmen, Läufern und Pferden, sondern an der Aussicht auf eine Schüssel Haferbrei, die ein christliches Zentrum als Belohnung aussetzte.
„Wir hatten Hunger und schliefen auf der Straße, weil kein Geld für die Miete da war. Es waren schwere Zeiten“, erinnert sich Mutesi, die heute 17 und in aller Welt als Schachmeisterin bekannt ist. „Die Spielfiguren fand ich zwar interessant, aber eigentlich wollte ich gar nicht spielen, sondern nur etwas zu essen haben.“
Mutesi, deren Vater an AIDS starb, als sie drei war, trug nicht einmal Schuhe. Die anderen Kinder, die sich an dem von der christlichen Mission ‚Sports Outreach Institute‘ initiierten Programm beteiligten, wollten erst nichts mit ihr zu tun haben. „Mir machte das wenig aus, denn so ist halt das Leben in Katwe“, erzählt sie. Inzwischen hat sie bei Wettkämpfen zahlreiche Trophäen errungen, die sie stolz im Haus von Missionsleiter Robert Katende zeigt, wo sie zurzeit auch wohnt.
„Wer nicht kämpft, wird nichts erreichen“, meint Mutesi, die einmal Ärztin werden und ein Waisenhaus für Slumkinder eröffnen will. Zum Schachspiel fühlt sich besonders hingezogen, weil es viel Planung erfordert, wie das Leben, an das sie früher gewöhnt war. „Wenn man in einem Elendsviertel lebt, muss man immer daran denken, wie man am nächsten Tag an Nahrung kommt.“
Mediziner brachten Schach nach Uganda
Schach gelangte in den frühen siebziger Jahren durch eine Gruppe von Ärzten am Mulago-Krankenhaus in Kampala in das ostafrikanische Land, wie der Generalsekretär des Ugandischen Schachverbands, Christopher Turyahabwe erklärt. „Das Spiel sollte die Menschen zum Denken anregen. Später half Schachspielen der Armee dabei, Strategien zu entwerfen.“
Vor allem dem englischen Pater Damian Grimes, von 1967 bis 2000 Direktor am „Namasagali College“, ist es zu verdanken, dass das Spiel an die Schulen Ugandas gelangte. In Namasagali eröffnete Grimes einen Schachclub und organisierte Schülerturniere. „Erst machten nur drei oder vier Schulen mit“, erinnert er sich. „Und wir konnten keine Mädchen zum Mitmachen motivieren.“ Bis Anfang der achtziger Jahre stieg aber die Zahl der Schulen, die sich an den Turnieren in Namasagali beteiligten, auf etwa 30. Auch Schülerinnen waren nun mit von der Partie.
Ein Team bestand aus vier Spielern, und jede Schule konnte mehrere Mannschaften schicken. Der Wettbewerb fand einmal jährlich statt und wurde später nach Pater Grimes benannt. Damals ahnte der Geistliche noch nicht, dass mehr als 20 Jahre später ein Mädchen aus dem Slum Katwe und ihr Team den Titel fünf Mal in Folge gewinnen würden.
Nach ihrem ersten Turniererfolg nahm Mutesi 2009 am Internationalen Kinderschachturnier im Südsudan teil, fernab ihrer Heimat Uganda. „Ich war sehr aufgeregt und konnte das Ganze erst glauben, als wir am Ziel ankamen“, erzählt sie. „Ich fühlte mich dem Himmel so nah.“
Seitdem trat Mutesi auch bei zwei Schach-Olympiaden in Sibirien und in der Türkei an. Nach dem Wettbewerb in Istanbul verlieh ihr der Weltschachbund FIDE den Titel „Meisterkandidatin“. Die nächsten Stufen in der Hierarchie sind „Großmeister“, „Internationaler Meister“ und „FIDE-Meister“. Kürzlich hielt die Afrikanerin eine Rede auf dem ‚Women in the World Summit‘ in New York, an dem auch Ex-Außenministerin Hillary Clinton und Talkmasterin Oprah Winfrey teilnahmen.
Partie gegen Garri Kasparow
In den USA spielte Mutesi gegen ihr großes Vorbild Garri Kasparow, einen der erfolgreichsten Schachspieler unserer Zeit. Auch Bill Gates soll sich für sie interessiert haben, und Disney bereitet einen Film über ihr Leben vor. Eine Schule in den USA hat sogar ein Turnier nach ihr benannt.
„Ich habe die Welt kennengelernt und gemerkt, wie viel größer sie ist als Katwe“, sagt die 17-Jährige. „Und dabei ging es mir anfangs wirklich nur um eine Mahlzeit. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal andere Menschen inspirieren könnte.“
Bevor die junge Frau ein Stipendium für die „St. Mbuga Vocational Secondary School“ in Kampala erhielt, gab es in der Schule nur vier Schachspielerinnen. Inzwischen sind es über 50, und Schach ist zum Pflichtfach geworden.
Mutesi ist mittlerweile Kapitänin des nationalen Frauenschachteams von Uganda. Sie hat nicht nur an zwei Olympiaden, sondern auch an den ‚World University Games‘ teilgenommen. Mit ihren älteren Kolleginnen kommt sie gut aus: „Schach verbindet uns alle“, sagt die 26-Jährige Jura-Absolventin Ivy Amoko. „Phiona ist zwar erst 17 Jahre alt, aber wir haben viel gemeinsam.“ (Ende)
Titelbild: Phiona Mutesi ist „The Queen of Katwe“. Ihr Leben soll von Disney verfilmt werden. (Bild: Amy Fallon/IPS)