Von Karlos Zurutuza | 4. August 2014
Lekorne, Frankreich (IPS/afr). Die Regierung von Mali und Tuareg-Rebellen von Azawad, einem Gebiet im Norden des westafrikanischen Landes, haben in Algier erneut Friedensgespräche geführt. Über die politischen Ziele der Tuareg-Rebellen sprach IPS exklusiv mit Moussa Ag Assarid, Sprecher der Nationalen Bewegung für die Befreiung von Azawad (MNLA).
2012 hatten die Aufständischen das Territorium nach der Vertreibung der malischen Armee für unabhängig erklärt. „Wir wollen einen demokratischen, säkularen und multiethnischen Tuareg-Staat“, sagte Moussa Ag Assarid.
Bei den Beratungen vom 16. bis 24. Juli zwischen der Regierung in Bamako und Repräsentanten von sechs bewaffneten Gruppen aus dem Norden Malis waren Diplomaten aus Mauretanien, dem Niger, dem Tschad, aus Burkina Faso und der Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten (ECOWAS) sowie Vertreter internationaler Organisationen zugegen.
IPS: Sie haben im April 2012 die Unabhängigkeit ihres Staates verkündet, den bisher aber niemand anerkannt hat. Wie erklären Sie sich das?
Moussa Ag Assarid: Wir sind nicht für einen Tuareg-Staat, sondern für ein säkulares, demokratisches und multi-ethnisches Staatsmodell. Wir Tuareg machen vielleicht die Mehrheit der Einwohner von Azawad aus. Dort leben aber auch Araber und Angehörige der Volksgruppen Songhai und Peula. Wir arbeiten in enger Abstimmung mit ihnen zusammen.
Seit der Unabhängigkeit Malis 1960 haben die Menschen in Azawad wiederholt erklärt, dass sie nicht Teil des Landes sein wollten. Wir erhalten Unterstützung von vielen Völkern in aller Welt. Die Staaten und internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen wollen jedoch nicht mit der etablierten Ordnung brechen. Deshalb sprechen die UN und Mali von „Dschihadismus“ und nicht von dem legitimen Freiheitskampf der Menschen in Azawad.
Zugleich beobachten wir, wie sich die Weltordnung durch wichtige Bewegungen in Nordafrika, im Nahen Osten und sogar, wie im Falle der Ukraine, in Europa verändert. Das ist ein eindeutiger Beweis dafür, dass die Globalisierung und Verwaltung der Welt fehlgeschlagen sind.
IPS: Die Intervention Frankreichs während des Krieges 2012 hat den Rebellen anscheinend in die Hände gespielt. Wie sehen Sie den Einfluss der früheren Kolonialmacht in der Region?
Assarid: Die Franzosen sind immer da gewesen, sogar nach der Unabhängigkeit Malis. Denn sie haben große strategische Interessen in der Region und sie sind abhängig von Bodenschätzen wie etwa Uran. Man könnte sagen, dass unsere Unabhängigkeit sowohl von der internationalen Gemeinschaft als auch von Frankreich konfisziert worden ist.
Die malischen Soldaten sind durch UN-Truppen ersetzt worden. Die Armee von Mali verübt jedoch weiterhin alle möglichen Übergriffe gegen die Bevölkerung, von willkürlichen Festnahmen bis zu Deportationen und Verschleppungen. All dies geschieht, ohne dass die französischen und die UN-Soldaten einen Finger krümmen. Die Regierung in Bamako fordert unterdessen Frankreich auf, sie in ihrem angeblichen Kampf gegen uns „Dschihadisten“ zu unterstützen.
Außerdem bereitet uns die Medienblockade Sorgen. Reporter erhalten keinen Zugang zu Azawad. Die Nachrichten werden durch Journalisten in Bamako gefiltert, die vom „Norden Malis“ sprechen, statt über unseren Kampf zu berichten. Sie machen sich damit zu Sprechern und Verteidigern des Staates Mali.
IPS: Inwieweit ist der Staat Mali in Azawad tatsächlich präsent?
Assarid: Die Armee und Regierungsvertreter sind 2012 geflohen. Der Staat ist nur in Zonen wie Gao und Timbuktu präsent, die von der französischen Armee geschützt werden. Die Regierung in Paris hat etwa 1.000 Soldaten in das Gebiet entsandt, während die Vereinten Nationen ungefähr 8.000 Blauhelme im ganzen Land stationiert haben. Zwischen 12.000 und 15.000 Kämpfer gehören der MNLA an.
Wir stimmen uns mit der Arabischen Bewegung für Azawad und dem Hohen Rat für die Einheit von Azawad ab. Gemeinsam mit diesen Gruppen kontrollieren wir 90 Prozent von Azawad. Wir leben dort aber unter extrem schwierigen Bedingungen. Weder von Mali noch von Algerien erhalten wir irgendwelche Unterstützung. Wir müssen mit einer schrecklichen Dürre fertigwerden. Wie eh und je leben wir von dem Fleisch und der Milch unserer Ziegen. Wir kämpfen mit von uns beschlagnahmten Waffen der malischen Armee und der Dschihadisten sowie mit Waffen, die wir früher von Libyen bekommen haben.
IPS: Viele behaupten, dass MNLA-Mitglieder während des Bürgerkriegs in Libyen 2011 auf der Seite des Machthabers Muammar al Gaddafi kämpften. Stimmt das?
Assarid: Die Medien verdrehen nach wie vor die Fakten. Gaddafi gewährte den Tuareg die libysche Staatsbürgerschaft, benutzte sie aber später dazu, in Palästina, im Libanon und im Tschad zu kämpfen. 1990 gingen sie nach Azawad zurück, um gegen die Armee Malis zu kämpfen. Selbst wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, wäre uns nicht der Fehler unterlaufen, 2011 gegen das libysche Volk zu kämpfen.
Gaddafi gab den Tuareg Waffen, damit sie in Bengasi kämpfen. Sie entschieden sich jedoch, nach Kidal zu gehen und dort die MNLA zu gründen. Es ist völlig falsch zu behaupten, dass die MNLA von Tuareg, die aus Libyen kamen, gebildet wurde. Viele unserer Kämpfer sind niemals dort gewesen.
IPS: Geben islamistische Extremisten in Azawad noch großen Anlass zur Sorge?
Assarid: Im Januar 2013 griffen Al Qaeda im islamischen Maghreb (AQMI), die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO), eine Splittergruppe von AQMI und Ansar Dine die malische Armee an der Grenze zu Azawad an. Malis Präsident bat Paris um Hilfe, um diese Gruppen zu entmachten.
Wir, die MNLA, kämpfen aber bereits seit Juni 2012 gegen die Dschihadisten. Die USA, Großbritannien und Frankreich behaupten, gegen Al Qaeda zu kämpfen, doch in Wirklichkeit führen wir die Gefechte vor Ort. Von Ansar Dine hat es seit über einem Jahr kein Lebenszeichen mehr gegeben. AQMI und MUJAO sind aber noch aktiv.
Es ist eine ungeheuerliche Sache, dass Bamako früher enge Verbindungen zu AQMI unterhielt und sogar Ansar Dine unterstützte. Dessen Führer ist zwar ein Tuareg, doch die Leute, die unter seinem Befehl stehen, sind Kriminelle. Die einst von Bamako unterstützten Dschihadisten sind heute stärker als die malische Armee. (Ende)
Titelbild: Moussa Ag Assarid, Sprecher der MNLA (Foto: Karlos Zurutuza/IPS)