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Tansania im Ausnahmezustand

Von Kizito Makoye | 5. November 2025

Bei den Wahlen in Tansania kam es zu schweren Unruhen mit hunderten Toten. Die Regierung verhängte von 29. Oktober bis 3. November nächtliche Ausgangssperren sowie einen totalen Internet Shutdown. Kizito Makoye erlebte den Ausnahmezustand in Dar es Salaam hautnah mit.

Dar es Salaam (IPS/afr). Manzese, ein sonst pulsierender Stadtteil der tansanischen Wirtschaftsmetropole Dar es Salaam, wirkt an diesem Morgen wie ausgestorben. Wo sich normalerweise im Berufsverkehr Gemüsehändler*innen, Streetfood-Verkäufer*innen und Motorradtaxis drängen, liegt heute eine unheimliche Stille über den staubigen Straßen. 

Die Rollläden der Verkaufsstände sind fest verschlossen, die hölzernen Marktstände leergeräumt, und in der Luft hängt ein schwerer, beißender Geruch von verbranntem Gummi. Seit Tagen steht das wirtschaftliche Leben still – die Bewohner*innen konnten weder Lebensmittel kaufen noch grundlegende Dienstleistungen in Anspruch nehmen.

„Ich kann immer noch nicht fassen, was ich gesehen habe“, sagt Abel Nteena, ein 36-jähriger Autorikschafahrer. Seine Stimme zittert, als er sich an den Morgen des 31. Oktober erinnert. „Maskierte Männer in Schwarz mit roten Armbinden tauchten plötzlich auf. Sie fingen an, auf uns zu schießen, als wir an der Tankstelle anstanden. Sie sprachen Swahili, aber ihr Akzent war seltsam – und ihre Haut war ungewöhnlich dunkel. Sie schrien, wir sollten laufen, und eröffneten das Feuer.“ 

Drei seiner Kollegen seien getroffen worden und lägen nun im Krankenhaus, erzählt Nteena. „Einer wurde in die Brust, ein anderer ins Bein getroffen. Ich weiß nicht einmal, ob sie es schaffen werden.“

Unruhen legen die Stadt lahm

Dieser Angriff war nur einer von vielen, die Dar es Salaam nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom 29. Oktober erschütterten. Die Gewalt forderte nach Schätzungen landesweit Hunderte Todesopfer, manche Quellen sprechen sogar von über 1.000. Um die Lage zu beruhigen, verhängte die Regierung in Dar es Salaam eine nächtliche Ausgangssperre – mit gravierenden wirtschaftlichen Folgen.

Für Millionen Menschen, die auf den informellen Handel angewiesen sind, war die Ausgangssperre ein existenzieller Schlag. Geschäfte und Märkte schließen bereits am frühen Nachmittag, der öffentliche Nahverkehr fährt nur eingeschränkt, und Banken sowie Filialen für mobile Geldtransfers schließen lange vor Sonnenuntergang.

„Ich war gerade dabei, Milch zu kaufen, als ich Schüsse hörte“, berichtet Neema Nkulu, eine 31-jährige Mutter von drei Kindern aus dem Verwaltungsbezirk Bunju. „Die Leute schrien und fielen zu Boden. Ich sah einen blutenden Mann in der Nähe des Ladens. Ich ließ alles fallen und rannte los.“ Dann sagt sie leise: „Die Kugel eines Scharfschützen traf die Scheibe des Ladens genau dort, wo ich gestanden hatte. Gott sei Dank bin ich noch am Leben.“

Da Mobile-Money-Dienste nur eingeschränkt verfügbar sind, können viele Menschen nicht an ihr Guthaben gelangen. „Ich habe zwar Geld auf meinem Handy, aber die Filialen haben geschlossen, und ich kann es nicht abheben“, sagt Neema. „Meine Kinder haben seit zwei Tagen nichts Richtiges gegessen.“

Kampf ums Überleben

In Dar es Salaam, wo fast sechs Millionen Menschen vom täglichen Verdienst leben, löste die Ausgangssperre eine Kettenreaktion von Notlagen aus. Lebensmittelpreise stiegen dramatisch, weil Lieferfahrzeuge aufgrund von Unsicherheit und Treibstoffmangel feststecken. Der Preis für Maismehl – ein Grundnahrungsmittel – hat sich binnen einer Woche verdoppelt. Gleichzeitig trieben die höheren Treibstoffkosten die Fahrpreise im Nahverkehr in die Höhe.

„Früher habe ich jeden Abend gebratenen Fisch verkauft“, sagt der 39-jährige Rashid Pilo, der einen Straßenimbiss in Bunju betreibt. „Meine Kunden waren Büroangestellte, die sich auf dem Heimweg etwas kauften. Aber jetzt eilen wegen der Ausgangssperre alle früh nach Hause. Ich habe fast alles verloren. Eine Nacht ohne Verkauf bedeutet kein Essen für meine Familie.“

In den Krankenhäusern von Mwananyamala und Mabwepande seien die Leichenhallen überfüllt, berichten Mitabeitende, die anonym blieben möchten. Leichensäcke gingen zur Neige. Offizielle Opferzahlen veröffentlicht die Regierung nicht.

„Immer wieder werden Leichen eingeliefert“, berichtet ein erschütterter Krankenhausmitarbeiter. „Manche haben Schusswunden, andere wurden geschlagen. Die Familien haben Angst, sie abzuholen.“

Angst und Schweigen

Schwer bewaffnete Soldaten patrouillieren an Kreuzungen, gepanzerte Fahrzeuge fahren ununterbrochen Streife, und willkürliche Hausdurchsuchungen sind zur Routine geworden. Viele Menschen trauen sich kaum noch vor die Tür.

„Ich bin zu drei Geldautomaten gegangen, aber keiner funktionierte“, sagt Richard Masawe, ein 46-jähriger Computerspezialist. „Das Internet war ausgefallen, und selbst Mobile Banking ging nicht. Ich konnte nichts kaufen und kein Geld an meine Familie schicken. Es fühlte sich an, als wären wir von der Außenwelt abgeschnitten.“

Die Regierung begründet den totalen Internet Shutdown mit einer „vorübergehenden Sicherheitsmaßnahme“. Menschenrechtsorganisationen hingegen sehen darin den Versuch, Berichterstattung und Kritik zu unterdrücken.

Auch der Verkehr ist weitgehend lahmgelegt. „Wir haben nur noch Treibstoff für einen halben Tag“, sagt Walid Masato, Leiter einer Tankstelle. „Die Lieferungen bleiben aus. Die Straßen sind unsicher.“

Wirtschaft am Abgrund, zerbrochenes Vertrauen

„Der informelle Sektor, in dem über 80 Prozent Bevölkerung arbeiten, ist am stärksten betroffen“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Jerome Mchau. Er schätzt, dass die Wirtschaft wöchentlich bis zu 150 Millionen US-Dollar verlieren könnte. „Die Preise für Lebensmittel und Kraftstoffe steigen rasant, das Vertrauen der Konsument*innen bricht ein.“

Die Ausgangssperre hat auch die Logistiknetze lahmgelegt. Lastwägen mit lebensnotwendigen Gütern aus den zentralen Regionen Dodoma, Morogoro und Mbeya konnten die Küste nicht erreichen, was zu Lieferengpässen in den Städten führte. „Wir beobachten Panikkäufe“, sagt Mchau. „Die Menschen horten Reis, Nudeln und Mehl.“

Die Intensität der Gewalt kam für die meisten Beobachter*innen überraschend. „Tansania galt lange als Leuchtfeuer des Friedens und der Demokratie in Afrika“, sagt der politische Kommentator Michael Bante. „Doch jetzt verlieren viele das Vertrauen in staatliche Institutionen. Oppositionelle Stimmen werden unterdrückt, Gemeinschaften spalten sich.“ Er betont, dass Präsidentin Samia Suluhu Hassan die Nation nur durch transparente Aufklärung und Dialog einen könne.

Abgesehen von den wirtschaftlichen Folgen hat die Gewalt das Vertrauen zwischen Bürger*innen und Regierung untergraben. Viele Menschen fühlen sich von einem System verraten, das einst für Stabilität stand.

Eine Nation unter Schock

In vielen Teilen von Dar es Salaam prägen Trauer und Ungewissheit den Alltag. Auf dem Manzese-Markt versammeln sich Frauen still in kleinen Gruppen und flüstern über vermisste Angehörige. Verkohlte Überreste von Kiosken und Motorrädern liegen auf den Straßen. Ein schwacher Rauchgeruch hängt in der Luft.

„Nichts wird mehr so ​​sein wie vorher“, sagt Neema Nkulu, die junge Mutter, die nur knapp einem Scharfschützenangriff entkam. „Früher fühlten wir uns hier sicher. Jetzt zucke ich bei jedem Motorradgeräusch zusammen. Ich kann meine Kinder nicht einmal mehr zur Schule schicken.“

Die Schulen in der ganzen Stadt bleiben bis auf Weiteres geschlossen. Krankenhäuser melden einen Anstieg von Traumata und Angstzuständen. Religiöse Führer haben zu Ruhe und Versöhnung aufgerufen.

Auf der Suche nach Stabilität

Präsidentin Samia Suluhu Hassan hat die Wahlen am 29. Oktober offiziellen Ergebnissen zufolge mit 97,66 Prozent der Stimmen gewonnen. Die wichtigsten Oppositionskandidaten waren von der Abstimmung ausgeschlossen. Bereits am Wahltag kam es zu gewaltsamen Protesten.

Samia Suluhu Hassan, die die Gewalt öffentlich verurteilt hat, steht nun vor ihrer bisher größten politischen Herausforderung. In einer Fernsehansprache rief sie zur nationalen Einheit auf und versprach, die Angriffe zu untersuchen. Kritiker*innen befürchten jedoch, dass das harte Vorgehen der Regierung die Spannungen weiter verschärfen könnte.

„Tansania steht an einem Scheideweg“, sagt Michael Bante. „Die Führung muss sich zwischen Repression und Reform entscheiden. Die Welt schaut zu.“

Internationale Partner, darunter die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen, haben zu Zurückhaltung und Dialog aufgerufen. Diplomatischen Kreisen zufolge sind die Vermittlungsbemühungen jedoch ins Stocken geraten, da beide Seiten auf ihren Positionen beharren.

Für den Fischerverkäufer Rashid  ist Politik zur Frage des Überlebens geworden. „Mir ist es egal, wer gewinnt oder verliert“, sagt er, während er eine Handvoll Tilapia auf einem kleinen Holzkohlegrill brät. „Ich will nur Frieden, damit ich arbeiten und meine Familie ernähren kann.“

Zerbrechliche Hoffnung

Mit Einbruch der Dämmerung liegt Dar es Salaam in gespannter Stille. Die einst belebten Busbahnhöfe und Imbissstände sind wie ausgestorben. Nur Militärpatrouillen duchbrechen die Stille auf den schwach beleuchteten Straßen.

„Wir haben schon schwere Zeiten durchgemacht“, sagt der Computerspezialist Masawe. „Wenn wir das Vertrauen wiederherstellen können, können wir vielleicht auch unser Land wieder aufbauen.“

Eine Lösung des Konflikts scheint derzeit aber in weiter Ferne. Die Krise nach den Wahlen in Tansania hat tiefe Spuren in einem Land hinterlassen, das einst als Hort der Stabilität galt. Ob die Regierung von Präsidentin Samia Hassan diese Wunden heilen kann, bleibt abzuwarten. (Ende)

Titelbild: Ein Wahlplakat von Präsidentin Samia Suluhu Hassan ist umgeben vom Rauch brennender Reifen, die bei den Unruhen in Dar es Salaam in Brand gesteckt wurden (Foto: Zuberi Mussa/IPS)