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Schmerzhafte Erinnerungen an den Völkermord

Von Martin Sturmer | 25. Juli 2024

Swakopmund (afr). Der Taxifahrer hat noch nie von einem Genocide Museum in Swakopmund gehört. Und er tut sich schwer, die genannte Adresse im Stadtteil Matutura zu finden. Mehrmals ruft er beim Museumsbetreiber Laidlaw Peringanda an, um sich zum Ziel dirigieren zu lassen.

Das Swakopmund Genocide Museum liegt sechs Kilometer vom Zentrum entfernt. Die Küstenstadt am rauen Atlantik mit ihren 75.000 Einwohner*innen ist der deutscheste Ort in Namibia. Bismarck-Straße, Hansa Hotel oder das Woermann-Haus erinnern an die deutsche Kolonialherrschaft, deren Verbrechen die Regierungen in Windhoek und Berlin bis heute beschäftigten.

Über die alte Landungsbrücke – Jetty genannt – kamen einst deutsche Soldaten ins Land. Von 1904 bis 1908 führte die Kolonialmacht einen erbarmungslosen Feldzug gegen Ovaherero und Nama, die sich gegen die Besatzer erhoben hatten. 65.000 von 80.000 Ovaherero und mindestens 10.000 von 20.000 Nama verloren ihr Leben. Der Vernichtungskrieg war der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts.

Die meisten Todesopfer waren aber nicht auf dem Schlachtfeld zu beklagen: Nach der Schlacht am Waterberg vom 11. August 1904 trieb die kaiserliche „Schutztruppe“ unter dem Befehl von Lothar von Trotha die flüchtenden Ovaherero in die wasserlose Omaheke-Wüste. Der Großteil von ihnen verdurstete, auch weil deutsche Soldaten zuvor die Wasserstellen an der Wüstengrenze abgeriegelt hatten. Später wurden 15.000 Ovaherero und 2.000 Nama in Konzentrationslagern eingepfercht, fast 8.000 starben.

Dokumentation des Grauens

Zurück nach Matutura. Laidlaw Peringanda winkt dem Taxifahrer zu, nachdem er dessen Wagen erspäht hat. Nach einer herzlichen Begrüßung führt er die Besucher*innen in einen nur etwa zehn Quadratmeter großen Raum. Dort dokumentieren historische Fotografien den Schrecken der deutschen Kolonialzeit: Auf den Schwarz-Weiß-Bildern sind abgemagerte Männerkörper, Kinder in Ketten und Frauen bei schwerer Zwangsarbeit zu sehen.

Peringanda ist 49 Jahre alt und eigentlich Künstler. Er schildert, dass er das Swakopmund Genocide Museum im Jahr 2015 ins Leben gerufen hat, um die Erinnerung an den Völkermord wach zu halten. Zunächst war das Museum in einer kleinen Hütte untergebracht. 2019 wurde das Museum von der Stadtverwaltung offiziell registriert, seitdem steht es an seinem heutigen Platz in Matutura.

Laidlaw Peringanda erläutert die historischen Fotografien im Swakopmund Genocide Museum. (Foto: afrika.info/Monika Sturmer)

Der Aktivist hat auch persönliche Motive für seine Arbeit. Väterlicherseits ist er mit dem berühmten Ovaherero-Anführer und Nationalhelden Hosea Kutako verwandt, nach dem der internationale Flughafen von Windhoek benannt ist. Peringanda erzählt, dass sein Urgroßvater wohlhabend war und 10.000 Rinder besaß. Nach dem Genozid sei dessen Farmland an deutsche Siedler gefallen. Besonders zu schaffen machte Peringanda aber das Schicksal seiner Urgroßmutter, von dem er im Alter von neun Jahren erfuhr.

„Sie war im Konzentrationslager von Swakopmund, wurde von deutschen Soldaten vergewaltigt und musste die Schädel einiger ihrer Familienangehörigen auskochen“, erzählt Peringanda. Die grauenhafte Prozedur sollte einer rassistisch motivierten Forschung in Deutschland dazu dienen, anhand von Kopfgrößen die angebliche Überlegenheit einer „weißen Rasse“ zu belegen. Allein 3.000 Schädel von Ovaherero wurden nach Deutschland verschifft, nur wenige wurden bis heute zurückgegeben.

Namenlose Gräber im Wüstensand

Laidlaw Peringanda kämpft leidenschaftlich um die Rückführung der menschlichen Überreste nach Namibia. Gleichzeitig kümmert er sich auch um die Erhaltung der letzten Ruhestätte jener Ovaherero und Nama, die im Konzentrationslager von Swakopmund umgekommen sind. Von den 5.000 Inhaftierten hat dort nur die Hälfte überlebt. Ihre Leichname wurden im Wüstensand nahe dem städtischen Friedhof verscharrt.

Der Gedenkstein am Gräberfeld beim städtischen Friedhof von Swakopmund erinnert an den Völkermord an Ovaherero und Nama von 1904 bis 1908. (Foto: afrika.info/Martin Sturmer)

Der Kontrast dort könnte auch heute kaum größer sein: Während sich im europäischen Teil zahlreiche gepflegte Grabsteine und Soldatendenkmäler befinden, sind die Gräber der Ovaherero und Nama nur durch Sandhügel gekennzeichnet, die leicht aus dem Wüstenboden ragen. Bis vor wenigen Jahren fuhren hier noch Tourist*innen auf Quads herum. Heute ist die Gedenkstätt durch eine Mauer gesichert. Ein Gedenkstein erinnert an den Genozid.

Kritik am Versöhnungsabkommen

Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen in Namibia ließ lange Zeit auf sich warten. Erst im Mai 2021 entschuldigte sich die Bundesregierung offiziell für das in Deutsch-Südwestafrika begangene koloniale Unrecht und erkannte die Tötung und Misshandlung tausender Ovaherero und Nama als Völkermord an.

Davor hatten Regierungsdelegationen aus Namibia und Deutschland seit Ende 2015 ein Versöhnungsabkommen verhandelt. Die Vereinbarung sieht vor, dass Deutschland in den kommenden 30 Jahren 1,1 Milliarden Euro für Entwicklungs- und Versöhnungsprojekte an Gemeinschaften der Ovaherero und Nama zahlt. Eine Ratifizierung durch das namibische Parlament steht allerdings noch aus – auch weil es starke Kritik durch Opferverbände gibt.

„Die von uns bestimmten Vertreter wurden von den Verhandlungen bewusst ausgeschlossen“, sagt Peringanda, „außerdem wurde die Landfrage in dem Abkommen nicht berücksichtigt.“ Die Opferverbände fordern die Rückgabe des Landes ihrer Vorfahren. 70 Prozent oder 27,9 Millionen Hektar des kommerziellen Farmlands in Namibia sind heute noch im Besitz von Weißen – das hat die staatliche Statistikbehörde im Jahr 2018 erhoben.

Peringanda erwartet sich von Berlin, dass sie das ursprüngliche Farmland der Ovaherero und Nama ihren heutigen Besitzern abkauft und zurückverteilt: „Unsere Regierung hat nicht das Geld dafür.“

Die Erinnerungsarbeit von Laidlaw Peringanda stößt nicht überall auf Verständnis. Ganz im Gegenteil: Ein Teil der deutschen Gemeinde von Swakopmund verhält sich ihm gegenüber sogar feindselig. „Ich habe mehrfach Morddrohungen erhalten“, erzählt er.

Beeindrucken oder gar beirren lässt sich Periganda davon aber kaum. Stattdessen freut er sich darüber, dass sein Swakopmund Genocide Museum in internationalen Medien jede Menge Aufmerksamkeit bekommt. „Eines der kleinsten Museen Afrikas ist vielleicht das wichtigste“, titelte kürzlich die britische Wochenzeitung Economist. Das hat offenbar auch die deutsche Regierung erkannt und die Finanzierung für den Ausbau des Museums angekündigt. (Ende)

Titelbild: Laidlaw Peringanda vor dem Swakopmund Genocide Museum (Foto: afrika.info/Martin Sturmer)