Von Charlton Doki | 17. Juli 2012
Juba (IPS/afr). Ein Jahr nach der Unabhängigkeit des Südsudans sehen die Frauen in dem afrikanischen Land ihre Hoffnungen enttäuscht. Die Staatsgründung hat ihnen bisher keine politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritte beschert. Die meisten von ihnen können weder lesen noch schreiben und leben unterhalb der Armutsgrenze.
Frauenbewegungen zeigen sich darüber besorgt, dass sich die Regierung des jüngsten Staates der Welt und der 54. Nation Afrikas nach einem mehr als 20-jährigen Bürgerkrieg nicht ausreichend für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der weiblichen Bevölkerung einsetzt.
Wirtschaftskrise und Nahrungsengpässe
Die Feiern zum ersten Unabhängigkeitstag am 9. Juli wurden zudem durch die gravierende Wirtschaftskrise überschattet. Die Regierung hatte im Januar beschlossen, wegen eines Streits mit dem Sudan über die Nutzung von Pipelines die gesamte Erdölproduktion stillzulegen. Die Einnahmen aus diesem Bereich machen 98 Prozent der gesamten Einnahmen des Südsudans aus.
Auch die Nahrungsversorgung ist kritisch. Wie das Welternährungsprogramm (WFP) im Juni erklärte, werden Ende des Jahres mehr als die Hälfte der 8,2 Millionen Einwohner des Landes auf Lebensmittelhilfen angewiesen sein.
In dem Flüchtlingslager Jamam im Bundesstaat Oberer Nil bahnt sich derweil eine humanitäre Krise an. Nach UN-Angaben halten sich dort etwa 200.000 Menschen auf, die vor dem Konflikt im Bundesstaat Blauer Nil geflohen sind.
Laut der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen liegt die statistische Sterblichkeitsrate bei Kindern in dem Camp mittlerweile bei täglich 2,8 pro 10.000. Bei zwei pro 10.000 spricht man bereits von einer Notlage.
Führende Vertreterinnen von Frauenorganisationen haben erklärt, dass sie im ersten Jahr der Unabhängigkeit hohe Erwartungen hatten. Nicht wenige sind inzwischen darüber ernüchtert, dass der anfänglichen Euphorie keine konkreten Verbesserungen gefolgt sind.
„Frauen sind politisch, wirtschaftlich und sozial gesehen in einer schlechten Lage. Die Regierung muss Maßnahmen ergreifen, um den Herausforderungen zu begegnen und zu erreichen, dass Frauen ihr Leben in dem neuen unabhängigen Staat genießen können“, sagt Lorna Merekaje vom „South Sudan Domestic Election Monitoring and Observation Programme“.
Die Beraterin des Gouverneurs des Bundesstaats Zentral-Äquatoria, Helen Murshali Boro, sichert zu, dass den Frauen geholfen werde. „Die Meinungsfreiheit ermöglicht es ihnen, sich frei zu äußern. Daher werden ihre Probleme nicht vom Schirm verschwinden, bis sie in den nächsten Jahren gelöst werden.“
Frauen leben meist in Armut
Bis dahin bleibt der Alltag für viele Frauen schwierig. Wie früher, als der Südsudan noch Teil des Sudans war, leben die Einwohnerinnen des Landes in Armut, sagt Lona James Elia, die Leiterin der Frauenorganisation ‚Voice for Change‘.
Eine 2009 durchgeführte staatliche Untersuchung über die Einkommensverhältnisse der Haushalte, die in diesem Juni veröffentlicht wurde, belegt, dass mehr als die Hälfte der 8,2 Millionen Südsudanesen mit umgerechnet weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen müssen. Bei den meisten Armen handelt es sich demnach um Frauen.
Wie Elia zudem kritisierte, kann die Regierung des Südsudans vor allem in den ländlichen Regionen nach wie vor keine Versorgung von Schwangeren und Müttern garantieren. Laut dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF ist nur bei 19 Prozent der Geburten ausgebildetes medizinisches Personal anwesend. Der staatlichen Studie zufolge haben 30 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu einer grundlegenden ärztlichen Betreuung.
In den wenigen Krankenhäusern mangelt es an Fachpersonal und angemessener Ausstattung. Für viele Frauen in ländlichen Gebieten sind die nächstgelegenen Geburtskliniken immer noch zu weit entfernt. 37 Prozent der armen Familien sind laut dem Bericht mehr als eine Stunde lang unterwegs, um eine Gesundheitseinrichtung zu erreichen.
Weltweit höchste Sterblichkeitsrate bei Gebärenden
Nach Angaben der Statistikbehörde starben im vergangenen Jahr 2.054 von jeweils 100.000 Gebärenden. Nach Erkenntnissen des Weltbevölkerungsfonds (UNFPA) hat sich die Lage seitdem nicht verbessert. Die Sterblichkeitsrate von Müttern bei der Geburt sei im Südsudan die höchste der Welt, erklärte Kate Gilmore, Vize-Chefin von UNFPA, kürzlich in Juba. Selbst in Afghanistan würden nur halb so viele Frauen bei der Entbindung sterben. In ganz Afrika liegt die Müttersterblichkeitsrat im Durchschnitt bei etwa 500 von 100.000 Geburten und damit um drei Viertel unter dem Stand im Südsudan.
„Noch immer sterben Frauen bei der Geburt, weil sie keinen Zugang zu den Gesundheitsdiensten haben. Das ist nicht hinnehmbar“, kritisiert Elia. Die Regierung müsse für den Bereich mehr Geld zur Verfügung stellen, damit sich die Frauen an der Entwicklung des Landes beteiligen könnten.
Regierungssprecher Barnaba Marial Benjamin versicherte unterdessen, dass viel für die Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung getan worden sei. „Wir haben unter anderem damit begonnen, Schulen und Gesundheitszentren zu bauen, die alle Bürger des Sudans – also auch Frauen – in Anspruch nehmen können“, sagt er.
Außerdem werden Strategien umgesetzt, die sicherstellen sollen, dass 25 Prozent aller öffentlichen Ämter auf nationaler, bundesstaatlicher und Bezirksebene von Frauen besetzt werden. „Nach der Unabhängigkeit hat der Präsident sechs Frauen in sein Kabinett geholt und mehrere stellvertretende Ministerinnen ernannt“, erklärt Boro. Unter den insgesamt 29 Ministern sind derzeit vier weiblich. Acht Frauen sind im Rang einer Vize-Ministerin.
Menschenrechtsaktivisten erkennen jedoch nicht, dass diese Entwicklungen allen Frauen im Südsudan Vorteile gebracht haben. „Die Frauen der mittleren und unteren Schichten sind nach wie vor nicht in der Lage, Entscheidungen zugunsten ihrer Geschlechtsgenossinnen zu treffen“, sagt Merekaje. Auch Boro muss zugeben, dass Bürgerinnen des Südsudans in der Arbeitswelt in untergeordneten Positionen tätig sind. „Zwar sind mehr Frauen als früher berufstätig. Sie verdienen aber wenig und haben kaum etwas zu sagen.“
88 Prozent der Frauen Analphabetinnen
Elia führt die Schwierigkeiten darauf zurück, dass die meisten Frauen Analphabetinnen seien und die Anforderungen der Arbeitgeber nicht erfüllen könnten. Nach Untersuchungen des Statistikamtes können 88 Prozent der Südsudanesinnen weder lesen noch schreiben.“Vor allem Frauen in den unteren Schichten sind weiterhin abhängig von Männern, um überleben zu können“, kritisiert Elia.
Den Vereinten Nationen zufolge schließt im Südsudan nur ein Prozent der Mädchen die Grundschule ab. Der Besuch von Grund- und Sekundarschulen in dem Land ist kostenpflichtig, seit die Regierung im Januar nach der Einstellung der Ölproduktion strikte Sparmaßnahmen eingeführt hat. (Ende)
Titelbild: Eine Krankenschwester im Walgak Primary Health Centre im Bundesstaat Jonglei versorgt eine werdende Mutter. (Foto: Charlton Doki/IPS)