Von James Jeffrey | 14. Juni 2016
Hargeisa (IPS/afr). Es ist ein Bild, das man sich vielleicht so nicht erwarten würde. Mitten in der Hektik der Innenstadt von Hargeisa, der sonnenverwöhnten Hauptstadt von Somaliland, scherzen und streiten Frauen in traditionellen islamischen Gewändern wortreich mit Männern. Die Frauen in Somaliland sind weit davon entfernt, sich mit einer unterwürfigen Rolle zufriedenzugeben.
Das Leben in Somaliland ist stark vom Islam beeinflusst ist, die Scharia ist Teil der Verfassung. Dennoch trägt die offen zur Schau getragene Religiosität viele Züge einer liberalen Gesellschaft. Die Rolle von Frauen im Alltag passt in der Regel gar nicht zu den stereotypen Vorstellungen, die den Schleier als ein Zeichen von Unterwürfigkeit und Zwang betrachten.
„Der Westen soll aufhören, sich damit zu quälen, was Frauen anziehen dürfen“, sagt Zainab. Die 29-jährige Zahnärztin erholt sich gerade von einem harten Arbeitstag in einem trendigen Café in Hargeisa. „Er sollte sich lieber damit beschäftigen, was Frauen für die Gemeinschaft und das Land beitragen können.“
Fehlende Anerkennung führt zu Unternehmertum
Die Republik Somaliland hat sich von Somalia losgesagt, als im Jahr 1991 der Bürgerkrieg eskalierte. Das ehemalige Protektorat Britisch-Somaliland war 1960 mit der Kolonie Italienisch-Somaliland zum Staat Somalia vereinigt worden. Nach der einseitig erklärten Unabhängigkeit wurde Somaliland international zwar als autonome Region anerkannt, nicht aber als eigener Staat.
Die aus der fehlenden internationalen Akzeptanz entstandenen wirtschaftlichen Nachteile haben zu einem großen Ausmaß an Eingeninitiative geführt. Die Menschen legten selbst Hand an und begannen die vom Bürgerkrieg zerstörte Wirtschaft und Infrastruktur wieder aufzubauen. Selbständigkeit und Unternehmertum wurden zur Devise der Stunde.
Heute werden etliche Betriebe von Frauen geführt. „Bei uns sind Frauen Metzger – so etwas gibt es nicht überall“, meint Zainab. Für Außenstehende passen berufstätige Frauen nicht unbedingt ins Bild, da der Großteil von ihnen in der Öffentlichkeit die Haare mit dem traditionellen Kopftuch – dem Hidschāb – bedeckt. „Es geht darum, was in deinem Kopf ist, und nicht, was auf deinem Kopf ist“, kontert Zainab.
Konservativer Islam im Vorwärtsgang
In Somaliland wird der Koran im Hinblick auf die Verhüllung traditionell ausgelegt. „Jede Frau ist frei, ihrer Religion zu folgen“, sagte Kaltun Hassan Abdi, Kommissarin bei der Nationalen Wahlkommission. „Der Islam sagt aber, dass eine Frau ihren Körper bedecken soll. Das ist eine religiöse Verpflichtung, die Frauen betrachten es aber nicht als Diskriminierung oder gar Verletzung ihrer Rechte.“
Es gibt aber Stimmen, welche die Zunahme von konservativen Strömungen im Islam beklagen. So ist die Musik, die früher schallend aus den Teestuben tönte, weitgehend verstummt. Die ehemals bunten Somali-Roben sind von den schwarzen Abayas verdrängt worden. Und Frauen mit Geschichtsschleier – dem Niqab – werden in den Straßen von Hargeisa immer häufiger.
„In den letzten 15 bis 18 Jahren haben wir eine dramatische Veränderung beobachten können“, bestätigt die Rechtsanwältin Rakiya Omaar. „Die Religion beeinflusst zunehmend unser Leben. Der Druck, wie eine gläubige Muslima zu leben, steigt. Dieser Druck kann subtil oder auch offenkundig sein – er wird von der Familie oder auch von der breiten Gesellschaft ausgeübt.“
Die Rechtsanwältin bemängelt, dass Frauen nicht bereit sein würden, über diesen wachsenden Druck zu sprechen. Auch die Zahnärztin Zainab will von Einschränkungen nichts wissen: „Ich habe mich für das Tragen des Hidschāb entschieden, weil es Allahs Wille und außerdem Teil meiner Religion und meiner Identität ist. Es war meine eigene Wahl.“
Nur eine Frau im Parlament
In politischen Entscheidungsprozess bleiben Frauen aber bis heute weitgehend ausgeschlossen. Das Parlament von Somaliland hat zwei Kammern: Das 82-köpfige ‚House of Elders‘, das sich aus traditionellen Führern zusammensetzt. Und das Repräsentantenhaus, das ebenfalls über 82 Sitze verfügt. Zum ‚House of Elders‘ sind überhaupt keine Frauen zugelassen. Im Repräsentantenhaus ist Baar Saed Farah die einzige Frau. Sie spricht sich klar für eine Frauenquote aus. „Ich glaube nicht, dass es ohne Quote mehr Frauen im Parlament geben wird.“
Die Politikerin fordert, dass 30 der 82 Sitze Frauen vorbehalten sein sollten: „Im normalen Berufsalltag gibt es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Aber sobald es um politische Partizipation geht, wird es sehr schwierig. Unsere Kultur begünstigt Männer. Nicht einmal Frauen wählen Frauen, weil sie es gewohnt sind, dass Männer die Entscheidungen treffen.“
Nafisa Yusuf Mohamed, Direktorin des auf die Unterstützung von Frauen spezialisierten Netzwerks NAGAAD in Hargeisa, gibt Baar Saed Farah nur teilweise Recht. Für sie haben Frauen im Geschäftsleben schon häufig mit Einschränkungen zu kämpfen. „Frauen arbeiten nur in kleinen Unternehmen – Sie werden hier nicht viele reiche Geschäftsfrauen finden“, meint die Aktivistin. „Derzeit gibt es aber nicht wirklich Alternativen. Die Situation kann sich nur ändern, wenn mehr Frauen Zugang zu höherer Bildung erhalten.“
Ein Plus an Bildung würde sich auch auf die Religiosität junger Frauen auswirken, ist Nafisa Yusuf Mohamed überzeugt. Im Gegensatz zu früher würden Mädchen heuer den Koran besser verstehen und sich stärker dafür begeistern. Als Beispiel nennt sie ihre 17-jährige Tochter, die eine Koranschule besucht und freiwillig einen Gesichtsschleier trägt. Außerdem würde sie sich intensiv in sozialen Netzwerken mit dem Islam auseinandersetzen.
Der Aufschwung der Religiosität in Somaliland sei auch ein Resultat von überregionalen und internationalen Entwicklungen, meint die Rechtsanwältin Rakiya Omaar. „Das Bewusstsein steigt, dass die westliche Welt Muslimen zunehmend feindlich gegenüber steht.“ Daher würden sich viele erst recht dem Islam zuwenden. (Ende)
Titelbild: Die Zahnärztin Zainab behandelt eine Patientin in ihrer Ordination in Hargeisa. (Foto: James Jeffrey/IPS).