Von François Djecombé | 4. April 2012
N’Djamena (IPS/afr). Die Hungersnot im Tschad nimmt ein immer bedrohlicheres Ausmaß an. In den ländlichen Gebieten suchen Frauen in Ameisenhügeln nach Getreidekörnern, und auch in den Städten leiden zunehmend mehr Menschen an Unterernährung.
„Nur Gott weiß, was mit mir und meinen Kindern passieren wird – seit zwei Monaten haben wir nichts mehr zu essen“, klagt Henriette Sanglar, eine Mutter von vier Kindern aus der tschadischen Hauptstadt N’Djamena. „Wir leben wie Bettler.“
Auch die Krankenschwester Diane Nelmall Koïdéré bestätigt, dass die Hungersnot in der Stadt weiter zunimmt. „Von den Kindern, die ich heute gesehen habe, sind viele untergewichtig. Man konnte sehen, dass sie in den vergangenen zwei Wochen nichts zu sich genommen haben. Die Kleinsten leiden grausam an Unterernährung.“
Wie schwerwiegend die Hungersnot ist, zeigt sich vor allem daran, dass sogar die Agrarregionen im Süden des Landes betroffen sind. Blandine Karébey zog aus dem Dorf Bépala nach N’Djamena, um bei ihrem jüngeren Bruder Joseph Ngarmadji zu wohnen.
Die Mutter von zwei Kindern im Alter von zwei und fünf Jahren will auf keinen Fall in ihr Dorf zurückkehren. Dort sind sämtliche Nahrungsmittelvorräte aufgebraucht. Die Menschen ernähren sich dort von wildwachsenden Früchten und Wurzeln.
Noch weit schlimmer als in dem Gürtel um die Hauptstadt, dem „Brotkorb“ des Tschad, sind die Auswirkungen der Hungersnot in der Sahel-Region spürbar. Dort fallen während der zweimonatigen Regenzeit jährlich normalerweise knapp 300 Milliliter Regen. Im vergangenen Jahr blieb der Regen ganz aus.
Halbwüstengebiete hart getroffen
Die Dürre setzte vor allem den Menschen in den Halbwüstengebieten Kanem, Guéra und Salamat im Osten des Landes zu. Die Ernten fielen weitaus geringer aus als sonst und waren oft schon nach drei Monaten aufgezehrt. Aus Verzweiflung ernährten sich die Menschen von den Saatkörnern, die sie eigentlich in der nächsten Saison hätten aussäen müssen, wurden von humanitären Organisationen versorgt oder zogen in die Städte, wo sie sich als Haushaltshilfen und Gärtner verdingen.
Stephen Cockburn, der Koordinator der Hilfsorganisation „Oxfam International“ für Westafrika, berichtete von verzweifelten Versuchen der Menschen in ländlichen Gebieten, an Nahrungsmittel zu kommen. „In dem Dorf Tassino im Distrikt Mangalmé in der zentralen Region Guéra suchen die Frauen sogar in Ameisenhaufen nach Getreide, das die Insekten gehortet haben.“
Wie Marcel Ouattara vom Weltkinderhilfswerk UNICEF erklärte, sind Frauen und Kinder der Hungersnot besonders schutzlos ausgeliefert. „Eine Situation, in der die Nahrungsknappheit zu Preiserhöhungen zwischen 100 und 200 Prozent führte, hat verheerende Folgen für die Schwächsten.“ Laut Ouattara sind Familien betroffen, die ohnehin nur einen begrenzten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben und denen nun chronische Mangelernährung droht.
Die Behörden hatten die Gefahr bereits im Januar erkannt und angekündigt, Getreide zu subventionierten Preisen bereitzustellen. Zugleich starteten sie einen Hilfsappell an die internationale Gemeinschaft. Im Nationalen Büro für Nahrungssicherheit (ONASA) lagern zurzeit etwa 4.000 Tonnen Getreide. Als die Regierung Anfang des Jahres den Notstand ausrief, kostete ein 100-Kilo-Sack Mais oder Hirse umgerechnet etwa 80 US-Dollar. ONASA bietet die gleiche Menge nun zum Preis von 20 Dollar an.
Die hungernden Menschen sind allerdings nicht der Ansicht, dass ihnen die Regierung ausreichend hilft. Viele haben noch nicht einmal genug Geld für die bezuschussten Lebensmittel. Großhändler nutzen die Lage aus, um umfangreiche Vorräte anzulegen, die sie zu den üblichen Marktpreisen und damit für sie gewinnbringend verkaufen.
Freie Hand für Spekulanten
Die Regierung verfügt über Mittel und Wege, die Preise unter Kontrolle zu halten, doch ging sie bisher nicht gegen die skrupellosen Händler vor. Mehrere Minister beließen es bei Warnungen. Politische Beobachter werfen den Behörden vor, durch ihre Tatenlosigkeit die Korruption zu fördern.
Am 19. März versuchte Agrarminister Adoum Djimet die Öffentlichkeit zu beruhigen, nachdem die Notsituation im Land für negative Schlagzeilen in der internationalen Presse gesorgt hatte. „Die Regierung ergreift Maßnahmen, um unsere Landsleute zu retten, die von der Hungersnot bedroht sind“, erklärte er.
Doch die zugesagte staatliche Hilfe ist bisher ausgeblieben, ohne dass dies ausreichend begründet worden wäre. Da auch die Unterstützung seitens der Hilfsorganisationen schleppend angelaufen ist, sind die Menschen zunehmend verzweifelt.
Ein Vertreter des Welternährungsprogramms WFP, der ungenannt bleiben wollte, sagte IPS, dass Nahrungsmittel auf dem Weg nach N’Djamena im Hafen von Douala im Nachbarstaat Kamerun aufgehalten worden seien. Mehrere Organisationen äußerten sich zudem besorgt darüber, dass die Regenzeit knapp bevorsteht. Sollte die Verteilung der Nahrungsmittel nicht rasch beginnen, wären die am schlimmsten von der Hungersnot betroffenen Gebiete bald nicht mehr auf dem Landweg zu erreichen. (Ende)
Titelbild: Frauen aus dem Dorf Azoza suchen in Ameisenhügeln nach Getreide. (Foto: Oxfam International, Flickr, CC BY-NC-ND 2.0)