Von Paul Okolo und Martin Sturmer* | 6. August 2019
Abuja/Salzburg (IPS/afr). Gemeinsam mit Benin hat Nigeria am 7. Juli 2019 das Afrikanische Freihandelsabkommen (AfCFTA) unterzeichnet. Damit sind 54 von 55 afrikanischen Staaten dem Pakt beigetreten – die Umsetzung soll im nächsten Jahr beginnen.
Als Nigerias Präsident Muhammadu Buhari auf dem Gipfel der afrikanischen Staatsoberhäupter in Niamey, Niger, das Abkommen unterschrieb, ist vielen Berfürwortern des AfCFTA ein Stein vom Herzen gefallen. 17 Jahre dauerten die Bemühungen an, in Afrika ein kontinentales Freihandelsabkommen zu schaffen. Mit Nigeria ist nun endlich auch der Wirtschaftsriese des Kontinents mit an Bord.
Bis auf Eritrea haben alle 55 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union das AfCFTA unterzeichnet, das formell am 30. Mai 2019 besiegelt wurde. Für den Startschuss notwendig war die Ratifizierung durch 22 Mitgliedsstaaten. Am 29. April 2019 haben die Demokratische Arabische Republik Sahara und Sierra Leone als 21. und 22. Staat das Abkommen ratifiziert. Damit gilt die Umsetzung für die Freihandelszone, die für das Jahr 2020 geplant ist, als gesichert.
Binnenhandel soll kräftig wachsen
Das größte Hindernis auf dem Weg zur kontinentalen Freihandelszone war die jahrelange Weigerung von Nigeria, dem Abkommen beizutreten. Die Unterstützung des westafrikanischen Landes galt aber als unabdingbar für dessen Erfolg – ist Nigeria doch mit einem Bruttoinlandsprodukt von 405 Mrd. US-Dollar die größte Volkswirtschaft des Kontinents.
Nach dem Beitritt von Nigeria ist der Bann gebrochen: Die Freihandelszone mit rund 1,2 Milliarden Einwohnern und einem BIP von rund 2,5 Billionen US-Dollar soll der größte Handelsblock der Welt werden. Das Hauptziel ist die Steigerung des innerafrikanischen Handels, der derzeit nur 17 Prozent beträgt. Zum Vergleich: Zwischen europäischen Ländern liegt der Anteil des Binnenhandels bei 64 Prozent.
In der afrikanischen Freihandelszone sollen Handelshemmnisse abgebaut und Regeln harmonisiert werden. Durch das Inkrafttreten des Abkommens könnte der Handel in Afrika bereits im Jahr 2022 um 52 Prozent zulegen, rechnet die Wirtschaftskommission für Afrika der Vereinten Nationen (UNECA) vor.
Neue Chancen für Nigerias Wirtschaft
„Es besteht kein Zweifel, dass das AfCFTA Handelshemmnisse verringern oder beseitigen und Standards auf dem Kontinent harmonisieren wird“, sagt der UNECA-Berater Yinka Adeyemi. „Es wird auch einen übergreifenden Rahmen bieten, innerhalb dessen die Regionen ihre besonderen Herausforderungen auf spezifische Weise angehen können.“
Für Nigeria könnte das Abkommen jedenfalls eine große Chance sein. Einige Banken des Landes sind bereits in mehr als einem Dutzend afrikanischer Länder tätig. Aliko Dangote, Afrikas reichster Mann, betreibt mehrere Zementwerke auf dem ganzen Kontinent.
Die boomende Filmindustrie, bekannt als Nollywood, ist überall in Afrika ein Begriff. Auch die Musikindustrie des Landes kann von einem einzigen afrikanischen Markt profitieren.
Die Erwartungshaltung lautet, dass eine florierende Wirtschaft mehr Arbeitsplätze schafft und die steigende Löhne das Wachstum ankurbeln. Außerdem könnte das Nigeria durch das Erstarken anderer Wirtschaftszweige seine Abhängigkeit von Rohöl reduzieren.
Widerstand von Interessenvertretungen
Einflußreiche Interessenvertretungen, darunter der Dachverband der Gewerkschaften “Nigeria Labour Congress” sowie Vertreter lokaler Handelskammern, sind jedoch nicht davon überzeugt, dass diese Effekte auch tatsächlich eintreten. Sie befürchten vielmehr, dass das Freihandelsabkommen die Landesgrenzen für Waren aus dem Ausland öffnen und damit die lokale Industrie unter Druck setzen werde. Dadurch würde die Zahl der Arbeitslosen steigen.
In der Tat belasten Nigerias ohnehin schon durchlässige Grenzen die Wirtschaft seit Jahrzehnten. Die einst so vitale Textilindustrie ist nur mehr ein Schatten ihrer selbst – mehr als 100 Fabriken sind zusammengebrochen. Grund dafür waren vor allem billige Textilimporte aus China und anderen asiatischen Ländern seit den 1990er-Jahren. Es wird geschätzt, dass die Billigimporte eine halbe Million Arbeitsplätze gekostet haben.
Ayuba Wabba, Präsident des “Nigeria Labour Congress”, ist einer der vehementesten Gegner des Abkommens. Noch Anfang letzten Jahres verkündete er, dass ein möglicher Beitritt zur AfCFTA eine “extrem gefährliche und radioaktive, neoliberale Politik” darstelle.
Als Folge der lautstarken Kritik hat die Regierung lange gezögert, das Abkommen zu unterzeichnen. Vor allem Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen Anfang 2019 wurde befürchtet, Millionen Stimmen von Beitrittsgegnern zu verlieren. (Ende)
* Dieser Beitrag basiert größtenteil auf den Ausführungen von Paul Okolo, die erstmals im Magazin "International Politics and Society" der Friederich-Ebert-Stiftung erschienen sind und von unserem Partner IPS verbreitet wurden. Der Artikel wurde um Hintergrundinformationen zur Entstehung des AfCFTA und seiner Auswirkungen ergänzt.
Titelbild: Blick auf Victoria Island, dem Wirtschaftszentrum der Millionenmetropole Lagos, mit dem 90 Meter hohen „Civic Centre Tower“ (Foto: Shutterstock)