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Benin: Drehscheibe für den Menschenhandel

Von Issa Sikiti da Silva | 8. Mai 2019

Cotonou (IPS/afr). In einem Bus in Cotonou, dem wirtschaftlichen Zentrum von Benin, sitzen vier nigerianische Mädchen zwischen 15 und 16 Jahren. Sie warten auf die Abfahrt nach Bamako in Mali. Ihr Begleiter sagt ihnen, dass dort ihre Ehemänner in Empfang nehmen werden.

Die vier Mädchen stammen aus dem Osten Nigerias. Angeblich haben ihre Eltern der Heirat mit in Mali lebenden Nigerianern zugestimmt. „Vier Landsleute baten mich, ihnen junge Frauen mitzubringen, weil sie heiraten wollen“, erzählt der Menschenschmuggler, der sich selbst „Wiseman“ nennt. „Ich bin sicher, dass sie dort glücklich werden.“

Auf die Frage, ob die Eltern der Mädchen wissen, dass sie nach Mali reisen, antwortet Wiseman ausweichend: „Ich habe mit ihnen verhandelt und ihnen eine Anzahlung gegeben. Diese wird ihnen sicherlich helfen, ein kleines Geschäft zu gründen oder Samen für die Landwirtschaft zu kaufen. Die Kinder sollten sich glücklich schätzen, weil sie arbeiten und die Pflichten von Frauen erfüllen werden. Ihr Leben wird sich dadurch enorm verbessern.“

Freilich kennt aber niemand die wirklichen Absichten der Männer, die die vier Mädchen „bestellt“ haben. In Nigeria wird der Menschenhandel zu einem immer größeren Problem: Im „Global Slavery Index“ belegt der westafrikanische bereits Platz 32 unter 167 Ländern. Die Schätzungen belaufen sich auf 1,38 Millionen Menschen, die dort in moderner Sklaverei leben.

Und obwohl Nigeria über den institutionellen Rahmen und Gesetze gegen den Menschenhandel verfügt, werden nach Angaben der Nationalen Agentur für das Verbot des Menschenhandels (NAPTIP) jedes Jahr mindestens eine Million Menschen verkauft. In einer Untersuchung mit malischen Behörden hat die NAPTIP festgestellt, dass kürzlich fast 20.000 nigerianische Mädchen in Mali zur Prostitution gezwungen wurden.

Viele Opfer sind Kinder

In Westafrika zählen vor allem Kinder zu den Opfern des Menschenhandels. Ende April konnte Interpol 216 Menschen aus Benin, Burkina Faso, Niger, Nigeria und Togo befreien – darunter 157 Kinder. Interpol ist Teil einer globalen Task Force, die den Menschenhandel bekämpfen soll.

Einige der Opfer arbeiteten als Sexarbeiter in Benin und Nigeria, andere schufteten den ganzen Tag auf Märkten und in verschiedenen Restaurants. Die Jüngsten unter ihnen waren erst elf Jahre alt. Insgesamt konnte Interpol 47 Personen festnehmen.

„Viele der Kinder werden in diese Märkte gebracht, um Zwangsarbeit zu leisten“, sagt der zuständige Interpol-Direktor Paul Stanfield. „Das sind organisierte Kriminelle, die von Geld angetrieben werden. Sie interessieren sich nicht für die Kinder, die zur Prostitution gezwungen werden, unter schrecklichen Bedingungen arbeiten oder auf der Straße leben müssen – sie sind ausschließlich auf der Suche nach Geld.“

Drehscheibe Cotonou

Benin kommt eine Schlüsselrolle im westafrikanischen Menschenhandel zu. Der Transit erfolgt häufig über Cotonou, von wo Frauen nach Nord- und Westafrika weiter transportiert werden.

Die geltenden Gesetze gegen den Menschenhandel erweisen sich häufig als zahnlos, da korrupte Beamte an den Grenzposten für ein paar Euro einfach wegsehen. Auch Wiseman bereiten die Grenzkontrollen kein Kopfzerbrechen. Er sagt, dass er wisse, „wie man damit umgeht.“

Auf die Frage, ob er für das Wohlergehen der Mädchen verantwortlich sei, antwortet der Menschenschmuggler: „Ich bin kein Sozialarbeiter, ich bin Geschäftsmann und Helfer. Ich helfe den Menschen, gute Frauen zu bekommen und die Familien der Mädchen gegen Geld aus der Armut zu holen.“

Armut, Kultur und Kinderarbeit

Der religiöse Führer Hassan Badarou bestätigt, dass viele Eltern ihre Kindern in einer finanziellen Notsituation weggeben. „Es ist schade, dass Eltern ihre Kindern erlauben, wegen ein paar Dollar das Land zu verlassen. All das würde aber nicht passieren, wenn sie nicht arm wären.“

Die 16-jährige Suzie, die heute in Cotonou lebt, ist aus der Gefangenschaft geflohen. Sie erzählt, wie sie vor vier Jahren von einer Freundin der Familie von ihrem Haus im Norden von Benin abgeholt wurde.

„Sie versprach mir, dass ich nach einem Jahr Hausarbeit die Schule besuchen kann – aber sie hielt sich nicht daran“, erzählt Suzie in der Landessprache Fon. „Als ich sie daran erinnerte, verschlimmerte sich meine Situation. Sie hörte auf, mein Gehalt zu bezahlen, erhöhte die Arbeitsbelastung und reduzierte meine Mahlzeiten von zwei auf eine pro Tag. Und sie fing an, mich zu verprügeln, wenn ich mich beschwerte.“

Im Lauf der Zeit begannen die männlichen Familienangehörigen, Suzie sexuelle Avancen zu machen. Sie konnte diese zwar abwehren. Die Situation wurde aber bald unerträglich – Suzie suchte sie das Weite.

Keine Polizei bitte

Warum sie sich nicht an die Polizei gewendet habe? „Das kann ich nicht“, antwortet Suzie. „Die Frau ist wie meine Tante. Das würde nur zu einem Konflikt zwischen ihr und meiner Familie führen.“

Der religiöse Führer Hassan Badarou erklärt, dass er in einigen Fällen wie jenem von Suzie zu vermitteln versucht hätte. Er habe viele Fälle von Missbrauch dokumentiert. „Wenn Sie sehen würden, wie diese Frauen die Mädchen misshandeln, würden Sie weinen.“

Die Polizei einzuschalten sei allerdings auch für ihn keine Option. „Wir sind alle Brüder und Schwestern dieses Landes, und wir glauben daran, unsere Probleme in Harmonie und Frieden durch Dialog zu lösen“, sagt Badarou. „Außerdem entspricht es nicht unsere Kultur, alles bei der Polizei zu melden. Ich beschuldige die Regierungen Westafrikas, dass die Angelegenheit aus dem Ruder gelaufen ist. Sie ist jetzt zu einer kulturellen Norm geworden, die tief im gesellschaftlichen Gefüge verankert ist. Nun es schwer, dagegen etwas zu unternehmen.“

Jakub Sobik, Kommunikationsmanager von „Anti-Slavery International„in London, berichtet, dass viele Eltern über die Zukunft ihrer Kinder belogen werden. „Sie schicken sie im ehrlichen Glauben weg, dass sie in einer städtischen Umgebung bessere Chancen hätten.“ Sobik fügt hinzu, dass in einigen Gesellschaften Kinderarbeit kulturell akzeptiert werde, weil diese dort seit Generationen üblich sei.

Am Busbahnhof von Cotonou setzt sich der Bus mit den vier nigerianischen Mädchen Richtung Bamako in Bewegung. Suzie schlendert Hand in Hand mit dem Fahrer eines Motorradtaxis durch die dunklen Straßen. Sie sagt, er sei ihr Freund. Der Mann dürfte zwischen 40 und 50 Jahre alt sein. (Ende)

Titelbild: Bushaltestelle in Cotonou in Benin (Foto: Dave Primov, Shutterstock.com)