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Lebensader Nil in Gefahr

Von Maged Srour | 22. Oktober 2018

Rom (IPS/afr). Der Nil ist 6.582 Kilometer lang und eine Lebensader für fast eine halbe Milliarde Menschen. Die Nutzungsrechte für das Nilwasser liegen größtenteils bei Ägypten. Andere Anrainerstaaten drängen zunehmend auf eine Umverteilung. Vor allem Wasserkraftprojekte in Äthiopien bergen Konfliktpotenzial.

„Im Moment denke ich nicht, dass es eine konkrete und unmittelbare Gefahr für einen Konflikt zwischen Ägypten, Sudan und Äthiopien gibt,“ sagt Maurizio Simoncelli, Vizepräsident des internationalen Forschungsinstituts Archivio Disarmo mit Sitz in Rom. Simoncelli sieht aber ein zunehmendes Konfliktpotenzial, wenn es in baldiger Zukunft zu keiner gemeinsamen Vereinbarung über die Umverteilung des Nilwasser komme.

Ägypten versucht weiterhin, die Kontrolle über die Nutzung des Flusses zu gewährleisten. Dabei beruft sich das nordafrikanische Land auf Verträge mit dem Sudan aus den Jahren 1929 und 1959, die den beiden Staaten rund 89 Prozent der Wassernutzungsrechte zugestehen.

Von den im Vertrag geschätzten 84 Milliarden Kubikmeter Nilwasser verdunsten im Durchschnitt etwa 10 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Der Rest in Höhe von 75 Milliarden Kubikmeter verteilt sich mit 55,5 Milliarden auf Ägypten und 18,5 Milliarden auf den Sudan.

Ägypten besteht auf bisherigen Verteilungsschlüssel

Die acht anderen Anrainerstaaten müssen sich mit marginalen Anteilen begnügen. Kairo rechtfertigt diesen Verteilungsschlüssel mit der völligen Abhängigkeit von Nilwasser. Da Ägypten ein trockenes Land sei, könne es ohne ausreichende Wassermengen nicht überleben. Im Gegensatz dazu gäbe es in den anderen Anrainerstaaten genügend Regen erhalten, um eine Landwirtschaft ohne Bewässerungssystem zu bewerkstelligen.

„Aus ägyptischer Sicht ist diese Position verständlich“, mein Matteo Colombo vom Italienischen Institut für Internationale Politikwissenschaft (ISPI). „Es ist richtig, dass Kairo keine alternativen Wasserressourcen hat. Ohne den Nil würde Ägypten sterben.“

Niederschläge in Äthiopien führen jedes Jahr dazu, dass der Nil in Ägypten über seine Ufer tritt. Wenn die Nilschwemme zurückgeht, düngt der an Nährstoffen und Mineralien reiche Schlamm die Ackerböden.

In Äthiopien entsteht die größte Talsperre Afrikas

„Das Problem für Ägypten besteht darin, dass es geografisch gesehen das Messer nicht an der Seite des Griffs hält“, warnt Colombo. Er drängt daher auf die Schaffung eines regionalen Forums, das auf die Zusammenarbeit mit den anderen Nil-Anrainerstaaten abzielt.

Eine solche Kooperation erscheint dringend erforderlich. In Uganda und Äthiopien entstehen große Wasserkraftwerke, welche die Durchflussmengen nach Kairo deutlich verringern könnten. So wird der „Grand Ethiopian Renaissance Dam“ in Äthiopien, der sich seit 2011 in Bau befindet, nach seiner Fertigstellung das größte Wasserkraftwerk des Kontinents sein.

Die Regierung in Addis Abeba rechtfertigt das Vorhaben damit, dass fast 90 Prozent des Abflusses aus dem äthiopischen Staatsgebiet stammen.

Um die Konflikte zwischen den Anrainerstaaten zu lösen, wurde im Jahr 1999 die Nilbeckeninitiative (NBI) ins Leben gerufen. Allerdings ist die Arbeit der Initiative, der die zehn Anrainerstaaten beigetreten sind, aufgrund politischer Querelen bislang zahnlos geblieben. Ägypten hat sich bereits aus etlichen NBI-Gremien zurückgezogen und das Gewicht der Organisation damit stark geschwächt.

Nubier wollen ihr Land zurück

Wachsender Widerstand gegen Kairo kommt auch von der nubischen Bevölkerung in Südägypten und dem Nordsudan. Während der Errichtung der Assuan-Staudämme (1898-1902 bzw. 1960-1971) wurden große Teile der Bewohner umgesiedelt. In den 1960-er Jahren mussten 120.000 Nubier in neue Dörfer ziehen, von denen kein einziges am Fluss lag.

Bis heute haben sich die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen für die Nubier nicht entscheidend verbessert. Die „General Nubian Union“ kämpft für Rückkehr der Nubier in ihr angestammtes Land.

Der Präsident der Union, Mohamed Azmy, kritisiert die fehlende Gesprächsbereitschaft der Regierung in Kairo: „Ich denke, wir erleben einen der schlimmsten Momente für uns Nubier. Jedes Mal, wenn wir in den letzten Jahren versuchten, unsere Rechte zu beanspruchen, wollte die Regierung uns nicht zuhören. Erst kürzlich wurden etliche unserer Aktivisten verhaftet.“

Initiative für Geburtenkontrolle

Ein weiterer Bedrohung für die Wasserversorgung entsteht durch die rasant wachsende Bevölkerung in Ägypten. Die Vereinten Nationen schätzen, dass die Bevölkerung von derzeit 97 Millionen Menschen bis ins Jahr 2030 auf 128 Millionen Menschen anwachsen wird, wenn sich an der derzeitigen Geburtenrate von 3,37 Kindern pro Frau nichts ändert.

Kairo hat deshalb kürzlich eine Kampagne mit dem Namen „Itnein Kifaya!“ („Zwei sind genug!“) gestartet, mit der sie versucht, das Bewusstsein für die Kontrolle der Geburtenrate zu erhöhen. „Ich denke, dies ist eine großartige Initiative der ägyptischen Regierung“, meint Matteo Colombo vom ISPI in Rom, „aber sie muss definitiv die gesamte Gesellschaft durchdringen – und das wird nicht einfach werden.“ (Ende)

Titelbild: Ägypten ist auf das Nilwasser angewiesen. Doch andere Anrainerstaaten verlangen mehr Nutzungsrechte. (Foto: Shutterstock.com)