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Frauen in Nigeria fordern das Patriarchat heraus

Von Promise Eze | 6. Oktober 2023

Lagos (IPS/afr). Bukes Saliu macht sich jeden Morgen zeitig auf den Weg, um dem starken Frühverkehr in Lagos zu entgehen. Ihr Ziel ist ein Lagergebäude in der nigerianischen Küstenmetropole, wo sie als Gabelstaplerfahrerin arbeitet. Aufgrund ihrer ungewöhnlichen Berufswahl ist Saliu zu einem Vorbild für viele Frauen geworden.

 „Die Leute sind begeistert, wenn ich ihnen sage, was ich mache”, erzählt Saliu. “Manchmal kommen abfällige Bemerkungen von Männern, mit denen ich zusammenarbeite, aber das lasse ich nicht an mich herankommen.“

Zu ihrem Beruf als Gabelstaplerfahrerin kam Saliu im August 2022. Zuvor hatte sie auf WhatsApp das Foto einer Frau erhalten, die selbstbewusst neben einem Stapler posierte. Bukes Saliu wusste sofort, dass sie diesen Beruf auch ausüben möchte. Kurzerhand entschloss sie sich zu einer einschlägigen Ausbildung.  

„Früher war ich Projektmanager bei einer gemeinnützigen Organisation, aber ich habe den Job  für meinen neuen Beruf aufgegeben”, sagt Saliu. “Am ersten Arbeitstag hatte ich zwar etwas Angst, aber jetzt bediene ich die Maschine wie die Männer. Ich glaube, dass Frauen mit am Tisch sitzen sollten, weil sie unterschiedliche Perspektiven, Ideen und Erfahrungen einbringen.“

Enormer Aufholbedarf

Um die Gleichstellung der Geschlechter ist es in Nigeria schlecht bestellt. Im Gender Gap Index 2023 des Weltwirtschaftsforums (WEF) ist Afrikas bevölkerungsreichster Staat mit Rang 130 unter 146 Nationen weit hinten zu finden.

Viele Frauen stoßen im Berufsleben an ihre Grenzen, obwohl die nigerianische Verfassung jegliche Form von Diskriminierung verbietet. Als Ursache werden religiöse und  kulturelle Traditionen, Vorurteile, begrenzte Bildungschancen und die ungleichen Auswirkungen von Armut genannt.

Obwohl die Regierung in Nigeria in der Vergangenheit immer wieder versucht hat, die tief verwurzelten Probleme zu lösen, sind die Fortschritte nach wie vor schleppend. In der Politik waren zuletzt sogar Rückschläge zu verzeichnen: Bei den Parlamentswahlen vom 25. Februar 2023 wurden nur drei Frauen in den 109-köpfigen Senat gewählt, in der vorherigen Legislaturperiode hatte es immerhin sieben Senatorinnen gegeben.

Auch in der Arbeitswelt haben Frauen einen schweren Stand. Unter den mehr als 220 Millionen Bürger*innen Nigerias gehen lediglich 27,1 Millionen Frauen offiziell einer Erwerbstätigkeit nach. Ein großer Teil davon entfällt auf Beschäftigungsverhältnisse, die wenig oder gar keine Qualifikation voraussetzen.

Schwimmen gegen den Strom

Dennoch gibt es auch ermutigende Beispiele von Frauen, die angebliche Geschlechtsnormen in Frage stellen und in bislang von Männern dominierte Berufsfelder vorstoßen.

Im Jahr 2022 erlangte die damals 26-jährige Iyeyemi Adediran enorme Aufmerksamkeit in Social Media. Als Lkw-Fahrerin für ein Ölunternehmen überzeugte sie durch außergewöhnliches Können am Steuer. 

Einen Meilenstein setzte auch Sandra Aguebor, die als erste weibliche Mechanikerin des Landes bekannt wurde. Mit ihrer 2004 gegründeten Lady Mechanic Initiative hat sie 4.000 Mädchen und Frauen ausgebildet und ihnen dadurch neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnet.

Auch die Schumacherin Faith Oyita gilt in Nigeria als Pionierin. In Makurdi, Hauptstadt des Bundesstaates Benue im Südosten des Landes, stellt sie seit dem Jahr 2015 Schuhe und Taschen her. 

In ihrer Ausbildungszeit war Oyita mit vielen Vorurteilen konfrontiert: “Zu Beginn fragten sich viele, warum ich mich für die Schuhmacherei entschieden habe. Sogar der Mann, der mit unterrichtete, zweifelte an meinem Potenzial. Ich war die einzige Frau unter seinen Lehrlingen. Viele der Männer waren überzeugt, dass ich nur hier bin, weil ich mit ihnen ausgehen wollte. Aber trotz der negativen Bemerkungen habe ich nie aufgegeben.” 

Erbe der Kolonialzeit

Añuli Aniebo Ola-Olaniyi , Geschäftsführerin der Frauenorganisation HEIR Women Hub in der Hauptstadt Abuja, ist überzeugt, dass die patriarchalen Strukturen ein Erbe der britischen Kolonialzeit sind. Damals wäre mit Unterstützung der Religion die Vorstellung verbreitet worden, dass Männer mehr Macht hätten, so Ola-Olaniyi. 

“Vieles von dem, was heute passiert, hat nichts damit zu tun, wie wir ursprünglich unser Leben als Frauen in Nigeria geführt haben”,  beklagt Ola-Olaniyi. “Frauen waren am Handel mit Waren und Dienstleistungen beteiligt, sie konnten sogar andere Frauen heiraten.”

Ola-Olaniyi kämpft dafür, dass die kolonialen Narrative korrigiert werden. Mit ihrer Organisation ermutigt sie andere Frauen, sich den Herausforderungen zu stellen: “In dem Land, das uns kolonisiert hat, fahren Frauen Busse und steuern Flugzeuge. Aber Nigeria hat es verabsäumt, seine Frauen zu stärken. Wenn eine Frau in Männerberufe vordringt, dann gilt es als große Leistung. Sie war aber immer dazu in der Lage, es fehlten einfach die Möglichkeiten. Ich glaube, dass Frauen gerade erst beginnen, ihr Potenzial zu erkennen.” (Ende)

Titelbild: Die Gabelstaplerfahrerin Bukes Saliu aus Lagos (Bild: Promise Eze/IPS)