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Auf den Spuren der Kapitalflucht aus Afrika

Von Jomo Kwame Sundaram* | 12. Mai 2022

Kuala Lumpur (IPS/afr). Der jährliche Geldabfluss aus Subsahara-Afrika übersteigt die Entwicklungshilfe für die Region. Ein neues Buch zeigt die Ursachen für die Kapitalflucht, schlägt Maßnahmen zu ihrer Eindämmung vor und erteilt dem Mantra von „Good Governance“ eine Absage.

Leonce Ndikumana und James Boyce, Herausgeber des neuen Buches On the Trail of Capital Flight from Africa, schätzen, dass Afrika in den letzten 50 Jahren mehr als zwei Billionen US-Dollar durch Kapitalflucht verloren hat. 

In Subsahara-Afrika beträgt der Geldabfluss pro Jahr 65 Milliarden US-Dollar und übersteigt damit deutlich die jährliche Entwicklungshilfe für die Region (55 Mrd. US-Dollar im Jahr 2019, Quelle: Weltbank). Je nach Land belaufen sich die jährlichen Abflüsse auf 3,3% bis 5,3% des Bruttonationaleinkommens.

Im Buch untersuchen die Autor*innen sorgfältig die Hintergründe für die Kapitalflucht, die in erster Linie in der Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu finden sind. Forensische Datenanalysen zu Angola, Côte d’Ivoire und Südafrika offenbaren, wie der Rohstoffhandel Klientelismus, Korruption und Finanzströme ins Ausland begünstigen. 

Seit den 1980er-Jahren waren die Abflüsse aus den drei genannten Ländern enorm: Angola verlor 103 Mrd. US-Dollar, Côte d’Ivoire 55 Mrd. US-Dollar und Südafrika 329 Mrd. US-Dollar.

Rohstoffhandel spült Geld in die Hände von Eliten

Länderanalysen wie im vorliegenden Buch sind entscheidend, um die Kapitalflucht besser kontrollieren zu können. Denn wenn Regierungen mehr Einnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen erzielen, wird der fiskalische “Gesellschaftsvertrag” ausgehöhlt. Steuerzahler*innen erwarten, dass die Staatsausgaben der Allgemeinheit zugutekommen. 

Im Rohstoffhandel werden die Einnahmen allerdings über staatliche Monopole, Lizenzgebühren und Steuern erzielt. Dadurch werden die Regierungen ihren Bürger*innen gegenüber weniger rechenschaftspflichtig. 

Ähnliche Auswirkungen hat auch der Zugang zu ausländischen Krediten. Regierungen konzentrieren sich darauf, sich bei befreundeten internationalen Geberstaaten einzuschmeicheln. Mit der erhaltenen Entwicklungshilfe verbessern sie dann ihre eigene Kreditwürdigkeit. 

Solche Regime sehen in der Folge weniger politische Notwendigkeit, „öffentliche Güter“ einschließlich Dienstleistungen bereitzustellen, geschweige denn den sozialen Fortschritt zu beschleunigen. Somit untergräbt die Aushöhlung des fiskalischen „Gesellschaftsvertrags“ nicht nur das öffentliche Wohl, sondern auch die staatliche Legitimität.

Eliten wollen ihr Geld in Sicherheit wissen

Um ihre Macht zu sichern, verlassen sich herrschende Cliquen oft auf Klientelismus – typischerweise auf regionaler, ethnischer oder konfessioneller Ebene. Ihre Regime provozieren unweigerlich Dissens – einschließlich oppositionellem Ethnopopulismus, zivilen Unruhen und sogar bewaffneten Aufständen.

Es überrascht nicht, dass solche Regierungen häufig die Auffassung vertreten, über begrenzte Wahlmöglichkeiten zu verfügen. Eine weitere Option ist Repression, die im Regelfall zunimmt, wenn der Status quo bedroht ist. Das daraus resultierende Gefühl der Unsicherheit breitet sich von der Öffentlichkeit auf die Eliten aus und forciert die Kapitalflucht.

Anotida Chikumbu spricht mit Leonce Ndikumana und James Boyce, Herausgeber von „On The Trail of Capital Flight from Africa“

Die Ausbeutung wertvoller natürlicher Ressourcen generiert nicht nur Exporteinnahmen, sondern zieht auch ausländische Investitionen an. Ein Ergebnis ist die „Holländische Krankheit“: Gewinnt die nationale Währung an Wert, wirkt sich das negativ auf die Exporte und den Arbeitsmarkt aus. Die Entwicklungsaussichten werden unweigerlich beeinträchtigt. 

Durch die beschriebenen Zusammenhänge wurden riesige private Vermögen angehäuft und illegal ins Ausland transferiert. Das Buch zeigt, wie Staat und Markt die private und persönliche Macht der regierenden Eliten sowie ihrer Verbündeten stärken.

Ivorisches Wunder endete im Bürgerkrieg

Die Analysen von Angola, Côte d’Ivoire und Südafrika demonstrieren, wie der Ressourcenabbau die Kapitalflucht begünstigt. In allen drei Ländern wurde die Wirksamkeit fiskalpolitischer Instrumente – insbesondere jene zur Förderung von Investitionen in Entwicklungsvorhaben – untergraben.

Die Abflüsse sind im Zug der wirtschaftlichen Liberalisierung angestiegen. Die unerfassten Finanzströme ins Ausland, die über Girokonten abgewickelt wurden, sind deutlich gewachsen. Handelsbezogene Transaktionen ermöglichen auf diese Weise Korruption und Kapitalflucht.

In Côte d’Ivoire – dem weltgrößten Kakaoproduzenten – sind es korrupte Partnerschaften aus inländischen Eliten und ausländischen Unternehmen, die für die Kapitalflucht zu verantworten sind. Die ivorischen Kakaoexporte wurden durchwegs zu niedrig gemeldet. Die daraus erzielten Gewinne verblieben bei den Eliten des Landes.

Mit dem Kakao-Boom endete das „Ivorische Wunder“: Die Preise fielen in den Keller, die nachfolgende politische Krise gipfelte in einem Bürgerkrieg. Der westafrikanische Staat konnte seine Auslandsschulden nicht mehr bedienen.

Ölfluch in Angola

Auch in Angola verschlechterte die Abhängigkeit von Rohstoffen die wirtschaftliche Entwicklung. Nach dem Ende des langwierigen Bürgerkriegs entstand ein Regime der Vetternwirtschaft, das satte Gewinne mit dem Ölreichtum des Landes machte. 

Von Angolas Erdölreichtum profitierte vor allem die Elite um den ehemaligen Präsidenten José Eduardo dos Santos. (Foto: Shutterstock.com)

An den massiven Ölexporten Angolas hat sich vor allem das Umfeld des Präsidenten bereichert. Der Regierung gelang es aber nicht, die Wirtschaft zu entwickeln und das Leben für einen Großteil der Bürger*innen zu verbessern.

Stattdessen hat Angolas “Ölfluch” eine ausgewogene und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung des Landes blockiert. Trotz hoher Fördermengen haben die meisten Angolaner*innen kaum vom Ölreichtum profitiert.

Südafrika leidet unter “State Capture”

Südafrika – nach Nigeria die zweitgrößte Volkswirtschaft in Subsahara-Afrika – ist von Rohstoffen weniger abhängig als Angola oder Côte d’Ivoire. Doch auch hier hat die wirtschaftliche Liberalisierung nach dem Ende der Apartheid die Kapitalflucht begünstigt: Private Unternehmen – insbesondere im einflussreichen Komplex der Mineralien- und Energie-Branche – konnten rasch von den neuen poltischen Regelungen profitieren.

Durch die Unterfakturierung der Exporte war der Mineralien-Sektor an massiver Kapitalflucht und Steuerhinterziehung beteiligt. Am staatlichen Stromsektor haben sich einflussreiche Personen bereichert. Die Missbräuche wurden im Zuge des Skandals um die Gupta-Familie aufgedeckt, der letztendlich zum Sturz des damaligen Präsidenten Jacob Zuma führte.

„State Capture“ – also die Unterwanderung des Staates durch politisch einflussreiche Kräfte – hat die regulatorischen Möglichkeiten der Regierung untergraben. Unterstützung erfuhren die dunklen Mächte von transnationalen Wegbereiter*innen: Angebliche Reformen zu “Good Governance” haben Kapitalflucht und Steuerhinterziehung erst dadurch ermöglicht, da nachhaltige Entwicklung und Aufsichtspflichten hintangestellt wurden.

Forderung nach “Developmental Governance”

Durch die oft komplexen, vielfältigen und sich häufig ändernden Liberalisierungsmaßnahmen hat die Kapitalflucht massiven Reichtum für Eliten ins Ausland verlagert. Transnationale Finanznetzwerke haben die Abflüsse ermöglicht – auf Kosten produktiver Investitionen, von Arbeitsplätzen und von sozialer Wohlfahrt. Die Kapitalflucht beeinträchtigt die Staatshaushalte, wodurch soziale Benachteiligungen weiter verschärft werden. 

Wohlstand bereichert den ökonomischen Kuchen – aber seine Verteilung hängt davon ab, wer ihn sich aneignet. Ein besseres Verständnis dieser Beziehungen ist entscheidend, um die Abflüsse einzudämmen. Anstelle des Mantras von „Good Governance “ muss eine neue Agenda der “Developmental Governance” rücken.

Die Bekämpfung von Kapitalflucht und den damit zusammenhängenden Missbräuchen – wie etwa falsche Rechnungslegung im Handel, Geldwäsche, Steuerhinterziehung und der Erwerb öffentlicher Vermögenswerte durch Eliten – erfordert gut koordinierte Bemühungen auf nationaler und internationaler Ebene.

Von den forensischen Analysen des Buches können alle Forscher*innen, politische Entscheidungsträger*innen und Aufsichtsbehörden profitieren. Internationale Finanzinstitute haben jetzt kaum noch eine Entschuldigung dafür, weiterhin Kapitalflucht und Steuerhinterziehung zu ermöglichen, die noch immer den Globalen Süden ausbluten. (Ende)

*Der Wirtschaftswissenschaftler Jomo Kwame Sundaram ist Berater am Khazanah Research Institute, Visiting Fellow an der Initiative for Policy Dialogue, Columbia University , und außerordentlicher Professor an der International Islamic University (IIUM).

Titelbild: In Luanda, Hauptstadt von Angola, sind die Gegensätze zwischen Arm und Reich unübersehbar. (Foto: Shutterstock.com)