Von Cam McGrath | 26. März 2014
Kairo (afr/IPS). Als im Juni 2013 der damalige ägyptische Präsident Mohammed Mursi damit drohte, Äthiopien gegebenenfalls militärisch am Bau von Nil-Staudämmen zu hindern, taten viele Beobachter die Äußerung als Säbelrasseln ab. Doch inzwischen wächst die Sorge, dass es dem Land bitter ernst damit sein könnte, sollte Äthiopien seine Arbeiten am größten Wasserkraftwerk Afrikas fortsetzen.
Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern haben sich verschlechtert, seit die Regierung in Addis Abeba 2011 mit dem Bau des 4,2 Milliarden US-Dollar teuren Grand-Renaissance-Damms begann. In Kairo befürchtet man, dass das neue Kraftwerk, das 2017 den Betrieb aufnehmen soll, die Wassermenge am Unterlauf des Nils verringern wird.
Rund 85 Millionen Ägypter sind für ihre Versorgung dringend auf dieses Wasser angewiesen. Laut dem Ministerium für Bewässerung läuft Ägypten Gefahr, durch das Projekt in Äthiopien 20 bis 30 Prozent seines Anteils am Nilwasser zu verlieren. Zudem besteht das Risiko, dass der Assuan-Staudamm fast ein Drittel Strom weniger produzieren kann als bisher.
Äthiopien jedoch vertritt den Standpunkt, dass der Grand-Renaissance-Damm und sein 74 Kubikkilometer großer Stausee im Quellgebiet des Nils sich keineswegs negativ auf den Wasseranteil Ägyptens auswirken werden. Das ostafrikanische Land will durch den Staudamm zum Energie-Selbstversorger werden und damit einen raschen Weg aus seiner bitteren Armut finden.
„Für Ägypten ist der Anteil am Nilwasser eine nationale Sicherheitsangelegenheit“, sagt der Strategieanalyst Ahmed Abdel Halim. „Äthiopien ist dagegen stolz auf seinen im Bau befindlichen Damm und sieht ihn als wesentlich für seine wirtschaftliche Zukunft an.“
Sabotageforderungen ägyptischer Abgeordneter
Der Streit hat sich seit der Umleitung eines Flussabschnitts im Mai durch Äthiopien weiter verschärft. Mehrere ägyptische Parlamentarier fordern bereits die Entsendung von Militäreinheiten beziehungsweise die Bewaffnung äthiopischer Rebellen, um das Damm-Projekt so lange zu sabotieren, bis es eingestellt wird. Das staatliche äthiopische Fernsehen berichtete im Februar über einen Besuch äthiopischer Armeekommandeure vor Ort, die sich entschlossen zeigten, den notwendigen „Preis zu zahlen“, um das teilweise fertiggestellte Projekt zu verteidigen.
Ägypten erhebt unter Berufung auf mehrere Verträge aus der Kolonialzeit Anspruch auf zwei Drittel des Nilwassers. Außerdem besteht Kairo darauf, sein Veto gegen den Bau von Dämmen und Bewässerungssystemen am Oberlauf des Stromes einlegen zu können. In den Abkommen von 1929, die 1959 ergänzt wurden, teilten die Briten den Nil zwischen Ägypten und dem Sudan auf, ohne die Staaten am Oberlauf zu konsultieren.
Nach der Übereinkunft von 1959 fallen Ägypten 55,5 Milliarden der insgesamt 84 Milliarden Kubikkilometer zählenden Wassermenge zu, die jährlich im Durchschnitt durch das Nilbett fließt. Der Sudan muss sich mit 18,5 Milliarden Kubikkilometern begnügen. Weitere zehn Milliarden Kubikkilometer gehen durch die Wasserverdunstung im Nasser-See verloren, der in den 1970er Jahren am Assuan-Staudamm angelegt wurde. Damit bleibt kaum noch ein Tropfen für die neun weiteren Nil-Anrainerstaaten übrig.
Es ist offensichtlich, dass die Verträge über die Wasserzuteilung die Länder am Oberlauf benachteiligen. Experten erklären allerdings, dass Ägypten und der Sudan in größerem Maß auf das Nilwasser angewiesen seien als die gebirgigen Länder in Äquatornähe, die aus alternativen Wasserquellen schöpfen können.
„Die Aufregung ist so groß, weil niemand weiß, wie sich der Dammbau tatsächlich auf den Wasseranteil Ägyptens auswirken wird“, sagt Richard Tutwiler, Experte für Wassermanagement an der Amerikanischen Universität in Kairo (AUC). „Ägypten kann jedenfalls ohne den Nil nicht existieren.“
Ägypter leiden an Wassermangel
Kairos Bedenken erscheinen insofern gerechtfertigt, als der Pro-Kopf-Anteil an Wasser im Land nur 660 Kubikmeter beträgt. Damit liegt das Land weltweit bereits am unteren Ende der Skala. Die Bevölkerungszahl dürfte sich zudem in den nächsten 50 Jahren noch verdoppeln, wodurch sich die Lage weiter zuspitzen würde. Doch auch die afrikanischen Staaten am Oberlauf des Nils müssen immer mehr Menschen ernähren. Die Versuchung, den Nil anzuzapfen, um Trinkwasser oder Wasser für die Landwirtschaft zu gewinnen, ist groß.
Um die knappen Nilwasserressourcen gerechter zu verteilen, wurde 2010 das Abkommen von Entebbe geschlossen. Darein heißt es, dass sämtliche Unternehmungen erlaubt sind, sofern sie nicht „signifikant“ die Wassersicherheit der anderen Staaten im Nilbecken beeinträchtigen. Fünf Länder am Nil-Oberlauf – Äthiopien, Kenia, Ruanda, Tansania und Uganda – unterzeichneten 2010 den Vertrag. Burundi schloss sich ein Jahr später an. Die Regierung in Kairo lehnte das Abkommen postwendend ab.
Inzwischen muss Ägypten, das durch seinen politischen Einfluss jahrzehntelang die Wasserprojekte der verarmten Nachbarländer verhindern konnte, mit ansehen, dass ihm die Kontrolle über den Nil immer weiter entgleitet. „Äthiopiens Vorgehen war beispiellos“, sagte im vergangenen Juni Ayman Shabaana von dem in Kairo ansässigen Institut für Afrika-Studien. „Vorher war noch nie ein Damm am Nil-Oberlauf ohne Zustimmung der Staaten am Unterlauf gebaut worden. Wenn nun aber weitere Länder dem Beispiel Äthiopiens folgen, wird Ägypten ein ernsthaftes Wasserproblem bekommen.“
Kairo sucht internationale Unterstützung
Äthiopien versucht die Nachbarn am Unterlauf derweil damit zu beschwichtigen, dass der Grand-Renaissance-Damm nur der Erzeugung von Strom und nicht auch Bewässerungszwecken dienen soll. Insgesamt will Äthiopien am Nil aber noch mindestens drei weitere Dämme errichten. Kairo sieht sich dadurch provoziert und hat internationale Organisationen angerufen, um Addis Abeba so lange zu einem Stopp des Vorhabens zu zwingen, bis dessen Auswirkungen für die Nilanrainer am Unterlauf geklärt sind.
Mehrere Studien kommen unterdessen zu dem Schluss, dass vernünftig betriebene Wasserkraftwerke in Äthiopien schwere Überschwemmungen verhindern und Ägyptens Anteil am Nilwasser sogar noch erhöhen könnten. Die Stauung von Flusswasser im kühleren Äthiopien würde zudem die bisherigen Verluste durch Verdunstung in der ägyptischen Wüste nahe dem Assuan-Damm minimieren. (Ende)
Titelbild: Hausboote am Nil in Kairo: 85 Millionen Ägypten sind vom Nilwasser abhängig. (Bild: Cam McGrath/IPS)