Von Kevwe Okporua* | 6. Juli 2020
Lagos (WFP/IPS/afr). In den engen Wasserstraßen von Makoko bewegen sich unzählige Kanus. “Vorwärts! Ausweichen! Stopp!”, rufen sich die Fahrer zu. Makoko, eine informelle Siedlung in Lagos, wird oft als „Venedig Afrikas“ bezeichnet. Dort leben geschätzt 100.000 Menschen großteils in Pfahlbauten.
Obwohl Owolabi James erst 25 Jahre alt, befördert er seit fast 20 Jahren Bewohner und Besucher von Makoko. „Ich bin hier geboren und aufgewachsen“, sagt Owolabi mit einem Lächeln. „Ich habe als Kind angefangen, diese Arbeit zu verrichten, und jetzt besitze ich mein eigenes Kanu.“
Auf den ersten Blick könnte die Bevölkerung von Makoko in der Corona-Pandemie als extrem gefährdet eingestuft werden – Hygiene und physische Distanz stellen unter den beengten Bedingungen eine ernsthafte Herausforderung dar. Mit Stand 6. Juli haben sich in Nigeria 28.711 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, 645 sind verstorben.
Weniger Bootsverkehr
Bei näherer Betrachtung ist COVID-19 aber die geringste Sorge der Menschen von Makoko. Der größte Teil der Bevölkerung lebt vom Fischfang. Die immer wieder drohende Räumung der Siedlung und der damit verbundene Verlust der Existenzgrundlage werden als größeres Risiko wahrgenommen als die Krankheit. Dennoch hat die Pandemie das Geschäftsleben von Makoko hart getroffen.
„Normalerweise mache ich täglich zwischen fünf und sechs Kanufahrten“, erzählt Owolabi. „Aber seit das Coronavirus aufgetreten ist und jeder aufgefordert wurde, zu Hause zu bleiben, habe ich nur drei Fahrten pro Tag.“
Nigeria ist mit rund 200 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land des Kontinents und die größte Volkswirtschaft Afrikas. Durch die Corona-Pandemie steht die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen auf dem Spiel. Die Regierung hat zwar ihre Hilfeleistungen für einige der am stärksten gefährdeten Gruppen des Landes verstärkt. So erhalten Schulkinder in Abuja und Lagos Lebensmittelrationen, die mit Unterstützung des Welternährungsprogramms (WPF) verteilt werden.
Fischmarkt musste schließen
Doch in Makoko kämpfen viele Menschen täglich ums Überleben. Sie sind ständig auf der Suche nach Einkommensquellen. Sarah Tinsheme (24) ist eigentlich Schneiderin. Im Moment hilft sie ihrer Mutter, Grundnahrungsmittel wie Wasser, trockene Nudeln und Gewürzwürfel zu verkaufen.
„Meine Hauptbeschäftigung ist aber der Verkauf von geräuchertem Fisch“, erzählt Tinsheme. Das Räuchern ist im Normalfall die Aufgabe der Frauen. Die Männer von Makoko sind damit beschäftigt, Fischernetze zu nähen und Kanus zu bauen oder zu reparieren.
Während Autofahrer auf der „Third Mainland Bridge“ von Lagos vorbeiziehen, herrscht im Fischmarkt von Mokoko aber Tristesse. Der Fischmarkt gilt als einer der größten in Lagos und ist gewöhnlich das pulsierende Herz der Siedlung. Da aber wegen COVID-19 alle Märkte geschlossen wurden, ist die Geschäftstätigkeit am Fischmarkt fast gänzlich erloschen.
Ohne Kanu keine Schule
Jutin Segodo Avlanwhen besitzt einen Friseursalon. Ihre Kunden – vor allem Markthändler – bleiben aus. Die 38-jährige Mutter von fünf Kindern sagt, die tägliche Rationierung der Mahlzeiten für ihre Kinder sei zur neuen Normalität geworden.
Für Avlanwhen ist die Situation besonders hart, da sie kein eigenes Kanu besitzt. „Wenn die Kanufahrer nicht pünktlich sind, kommen die Kinder zu spät zur Schule“, klagt sie. Ganz arme Familien sind noch schlimmer dran. Da sich die Eltern die Fahrtkosten nicht leisten können, haben die Kinder keinen Zugang zu Bildung.
Makoko wird von der Lokalregierung in Yaba verwaltet. Das Verhältnis zwischen der Bevölkerung und der Verwaltung ist seit Jahren angespannt. Wenn offizielle Vertreter auftauchen, befürchten die Bewohner vor allem eines: Räumung.
Bewohner wollen bleiben
Im Jahr 2012 hat die Regierung Tausende von Einwohnern mit einer Frist von nur 72 Stunden gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben. Die Absicht war, die angebliche „Schande von Lagos“ zu beseitigen.
Makokos labyrinthische Wasserstraßen und die großteils schäbigen Häuser sind von der Third Mainland Bridge deutlich sichtbar. Über die 10,5 Kilometer lange Brücke fahren täglich fast 100.000 Menschen. Die Räumungen wurden abgebrochen, nachdem ein Bewohner von Polizisten getötet worden war.
Für Sarah Tinsheme und viele andere besteht das Leben in Makoko aber nicht nur aus Trübsinn. „Ich mag unser Leben hier“, sagt sie. „Wir haben hier in Makoko oft Partys. Alles was wir tun müssen, ist einen Ort zu finden, an dem es viel Sand gibt, wie die Kirche.“ Etwa ein Drittel der Fläche von Makoko befindet sich an Land.
Auch Owolabi James würde nirgendwo anders leben wollen. „Ich lebe gerne hier auf dem Wasser“, betont er. „Wenn ich nicht arbeite und mich entspannen möchte, rufe ich meine Freunde an, damit wir uns entspannen und einfach die Gesellschaft des anderen genießen können. Ich habe hier meine Ruhe, die kühle Brise und die frische Luft.“ (Ende)
*Der Beitrag wurde vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt (zur englischsprachigen Originalversion).
Titelbild: Unzählige Kanus navigieren tagtäglich durch die engen Wasserstraßen von Makoko. (Foto: Damillola Onafuwa/WFP)