Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Biafra: PR an der Front

Von Martin Sturmer | 30. Mai 2017

Salzburg (afr). Vor exakt 50 Jahren – am 30. Mai 1967 – erklärte Biafra seine Unabhängigkeit von Nigeria. Die Bilder aus dem nachfolgenden Bürgerkrieg haben unsere Wahrnehmung von Afrika stärker beeinflusst als jedes andere Ereignis. Im Konflikt spielte die Propaganda von PR-Agenturen eine entscheidende Rolle.

Im Hintergrund des Bürgerkriegs in Biafra (1967–1970) standen ein Ressourcenkonflikt und Pogrome gegen Igbo aus der Ostregion Nigerias. Im September 1966 waren bei blutigen Auseinandersetzungen mehr als 30.000 Igbo getötet worden.

Am 27. Mai 1967 verkündete Präsident Yakubu Gowon die Aufteilung Nigerias in zwölf Regionen. Für den Militärgouverneur der Ostregion, Emeka Ojukwu, war die Neuordnung allerdings ein schwerer Affront: Ojukwu hätte damit die Kontrolle über jene Gebiete verloren, in denen ein Großteil der erschlossenen Erdölvorkommen Nigerias lag. Außerdem wäre er vom Zugang zum Meer und zum Industriezentrum Port Harcourt abgeschnitten worden.

Der drohende Machtverlust sowie die brutalen Übergriffe gegen die Igbo aus dem Vorjahr führten dazu, dass Ojukwu am 30. Mai 1967 die Unabhängigkeit Biafras ausrief. Nigeria ließ die Sezession aber nicht auf sich sitzen: Am 6. Juli 1967 fielen nigerianische Truppen in Biafra ein, sie unterschätzten aber die Gegenwehr von Ojukwus Soldaten. Die föderalistische Armee kam weitaus weniger rasch voran als erwartet. Aus der ursprünglich auf 48 Stunden anberaumten Polizeiaktion entstand ein Bürgerkrieg, der ganze 31 Monate dauern sollte.

Bilder von Biafra-Kindern gehen um die Welt

Die Weltpresse nahm von den Vorgängen in Nigeria zunächst kaum Notiz. Erst als sich die humanitäre Lage im stetig schrumpfenden und von der Nahrungsmittelzufuhr abgeschnittenen Biafra drastisch verschlechterte, reagierten die Redaktionen: Im Frühjahr 1968 drängten sich mehr als neun Millionen Menschen in einem Kessel, der kaum noch größer als das Ruhrgebiet war. Pro Tag sollen in dem Gebiet 6.000 Menschen gestorben sein.

Am 19. August 1968 beschrieb das Nachrichtenmagazin Der Spiegel das ganze Ausmaß der Katastrophe. Der nachfolgende Auszug zeigt auch die Rezeption des Konflikts in internationalen Leitmedien:

„Anfang nächsten Jahres wird es, wenn die Hungerblockade andauert, in Biafra keine Kinder unter 15 Jahren mehr geben. ‚Genozid‘, so schrieb die Pariser ‚Monde‘, ‚ein oft mißbrauchter Begriff, hier ist er am Platz.‘ (…) Erstmals wird ein Völkermord im Fernsehen gezeigt, wird die ganze Welt durch Filme, Photos und Berichte aus Biafra zum Zeugen des Genozides. Bilder von Skelett-Kindern mit aufgedunsenen Bäuchen, rötlich verfärbtem Kraushaar und leblosen Augen, ‚Bilder, schlimmer als aus Belsen‘ – so die Londoner ‚Times‘ – haben die Welt wachgerüttelt.“

Der Spiegel, 19. August 1968

Uni Salzburg soll Hintergründe klären

Als die ersten Meldungen von dem Sterben im eingekesselten Biafra durch die deutsche Presse gingen, kam die deutsche Politik unter Zugzwang. Das Auswärtige Amt in Bonn trat an Günter Kieslich, Ordinarius für Publizistik an der Universität Salzburg, heran. Kieslich, der zuvor Referent der deutschen Kultusministerkonferenz gewesen war, sollte die Hintergründe für die massive Berichterstattung beleuchten.

Günter Kieslich übertrug die Aufgabe an seinen Dissertanten Gernot Zieser, In seiner Doktorarbeit „Die Propagandastrategie Biafras im nigerianischen Bürgerkrieg“ von 1970 beschäftigte sich Zieser intensiv mit der Rolle der PR-Agenturen im Konflikt.

Denn beide Widersacher im Biafra-Krieg, Emeka Ojukwu und Yakubu Gowon, wollten die internationale Wahrnehmung des Konflikts nicht dem Zufall überlassen und beauftragten renommierte PR-Agenturen und -Spezialisten. Im Sold von Biafra standen die Genfer Agentur Markpress, Ruder Finn aus den USA sowie der Propagandaspezialist Robert S. Goldstein. Für Nigeria sollten die britischen Agenturen Galitzine Chaut Russel & Partners Ltd., die Commonwealth News Agency, Burson-Marsteller Associates und der PR-Experte Andrew Nash die Meinung der Weltöffentlichkeit beeinflussen.

Den Auftrag für die Bearbeitung der europäischen Medienlandschaft erteilte die Regierung Biafras der Genfer PR-Agentur Markpress, die im Eigentum des US-Amerikaner H. William Bernhardt stand. Im November 1967 flogen zwei Minister aus Ojukwus Kabinett nach Genf, um Bernhardt die Zusammenarbeit anzubieten. Am 6. Februar 1968 präsentierte die Agentur ein Konzept mit dem Titel „Fight for Survival“, das zur Basis der PR-Kampagne wurde.

Genfer PR-Agentur sorgt für hohe Aufmerksamkeit

Bis zum Kriegsende im Januar 1970 versuchte die Agentur mit mehr als tausend englischsprachigen Presseaussendungen die Themen zugunsten Biafras zu setzen. Außerdem organisierte Markpress Pressereisen ins Kriegsgebiet: Bis zum Sommer 1968 sollen über 70 Journalist*innen aus allen westeuropäischen Ländern nach Ostnigeria geflogen worden sein.

Die PR-Aktivitäten erzielten enorme Resonanz. Anhand der vergleichenden inhaltsanalytischen Auswertung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und den Aussendungen von Markpress konnte Gernot Zieser einen großen Einfluss der PR-Agentur auf die Berichterstattung feststellen: Nach dem Arbeitsbeginn von Markpressam 1. Februar 1968 tauchten in den untersuchten Medien Formulierungen und Stereotpyen auf, die von er Agentur kreiert worden waren und zuvor nicht oder nur minmal existent waren.

Das enorme Medienecho für Biafra allein der PR-Agentur zuzuschreiben, greift für Zieser allerdings zu kurz. Das Fundament dafür war schon lange vor der Einschaltung von Markpress gelegt worden – allerdings zunächst ohne großen medialen Widerhall.

Bereits unmittelbar nach Kriegsausbruch im Sommer 1967 hatten mit Ojukwu sympathisierende Studenten aus Nigeria deutsche Kirchenführer über den „Religionskrieg“in ihrer Heimat und die bevorstehende „Ausrottung der Christen“ informiert.

Der deutsche Klerus übernahm die griffige These von den muslimischen Christenmorden in Biafra und entfachte – so Der Spiegel in einem Rückblick vom 9. Juni 1969 – „eine geradezu kreuzzugartige Stimmung“. Die Kirchen beschlossen rasch Hilfe für Biafra. In Sonntagsmessen wurde über den „Völkermord in Nigeria“ informiert; Mitbürger wurden aufgefordert, an Regierungen, Abgeordnete und die Vereinten Nationen zu schreiben und die Anerkennung Biafras zu fordern.

Auch die Medien wurden bedrängt, endlich über den „vergessenen Bürgerkrieg“ zu berichten. Im Frühjahr 1968 lag das Interesse der Auslandsressorts aber auf geopolitisch wichtigeren Ereignissen wie dem „Prager Frühling“ und dem Vietnamkrieg.

„Hungersnot“ wird zur neuen Losung

Die Situation änderte sich schlagartig im Frühsommer des Jahres 1968, als Missionare im christlich dominierten Biafra von einer Hungerkatastrophe berichteten. Die „Hungersnot“ sollte sich als wesentlich zugkräftigeres Motiv als die „Christenverfolgung“ erweisen und beeindruckte offenbar auch die PR-Profis bei Markpress‘ Laut Zieser begann die Genfer Agentur ab Ende Juni 1968, in jeder zweiten Aussendung das „Hungergespenst“ an die Wand zu malen. Zuvor hatte die PR-Agentur nur in etwa sechs Prozent aller Artikel über Ernährungsprobleme berichtet.

Am 11. Juni 1968 tauchte in der Austria Presse-Agentur (APA), die zuvor hauptsächlich über den Kriegsverlauf berichtet hatte, erstmals die Warnungen vor einer Hungerkatastrophe in Biafra auf. Die Nachrichtenagentur informierte, dass „eine runde million kinder durch den buergerkrieg zur hungersnot, wenn nicht zum tode verurteilt“ ist.

Die APA erwähnte in der Meldung auch die Proteinmangel-Erkrankung Kwashiorkor: „mehr und mehr kinder siechen an dieser kwashiorkor-krankheit dahin und nichts kann dagegen unternommen werden, weil eben nicht genuegend milch und fleisch zur verfuegung stehen.“

Das Krankheitsbild bei Kwashiorkor zeigt einen charakteristischen Hungerbauch, der durch Wassereinlagerungen und eine vergrößerte Leber verursacht wird. Darüber hinaus treten Hautveränderungen und oft auch eine Entfärbung der Haare auf. Fotos dieser Kinder, deren „gesichter bereits greisenhafte zuege tragen“ – so die APA in einer Meldung vom 26. Juli 1968 – gingen um die Welt.

Diese Bilder entfalteten eine enorme Wirkung und rüttelten die Menschen auf. Die Spendenbereitschaft war enorm. Durch die Errichtung einer Luftbrücke kirchlicher Hilfsorganisationen im August 1968 konnte das Massensterben letztendlich gestoppt werden, die Todesrate sank auf rund 300 Menschen pro Tag.

Mit dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die ČSSR am 21. August 1968 verschwand Biafra über Nacht aus den Schlagzeilen. Bis zum Kriegsende Anfang 1970 konnte die hohe mediale Resonanz des Sommers 1968 nicht wieder erreicht werden.

In den Köpfen der Zeitzeugen hatte sich aber Biafra als Synonym des Hungers in Afrika eingeprägt. Eine Wahrnehmung, die unser Bild von Afrika als Kontinent von Not und Elend bis heute prägt. (Ende)

Literatur

  • Becker, Jörg (2009): Kriegsmarketing. Wie PR-Agenturen Kriege verbereiten und begleiten. Berlin. Abgerufen von https://www.hintergrund.de/globales/kriege/kriegsmarketing/, Zugriff am 30. Mai 2017. 
  • Kunczik, Michael (2004): Die Privatisierung der Kriegspropaganda. In: Löffelholz, M. (Hg.), Krieg als Medienereignis II. Wiesbaden, S. 81-98. 
  • Sturmer, Martin (2013): Afrika! Plädoyer für eine differenzierte Berichterstattung. Konstanz.
  • Sturmer, Martin (2016): Von Lumumba bis Ebola. Standarderzählungen in der österreichischen Afrika-Berichterstattung (1960-2015). In: Medien und Zeit, Jahrgang 31, Heft 2/2016. Wien, S. 18-31. 
  • Zieser, Gernot (1970): Die Propagandastrategie „Biafras“ im nigerianischen Bürgerkrieg (1967 – 1970): eine Modell-Untersuchung zur interkulturellen Kommunikation zwischen Entwicklungs- und Industrieländern. Dissertation, Universität Salzburg.
  • Zieser, Gernot (1971): Die Propagandastrategie Biafras im nigerianischen Bürgerkrieg (1967-1970). In: Publizistik, 16 (2/1971), S. 181-193.