Von Miriam Gathigah | 21. Juni 2013
Nairobi (IPS/afr). Als Jane Meriwas neun Jahre alt war, hielt ihr Vater sie für völlig nutzlos. Das Samburu-Mädchen aus der kenianischen Region Rift Valley hatte die Ziegenherde nicht vor Hyänen schützen können – sieben Tiere wurden zerfleischt. Um den Schaden wiedergutzumachen, blieb ihr immerhin noch die Option, zur Nebenfrau eines alten Mannes zu werden.
Eine Heirat hätte dem Vater mehr Ziegen verschafft, als ihm durch die Raubtiere verloren gingen. Der Schulbesuch bewahrt sie letztlich, früh heiraten zu müssen. „Zur Schule bin ich eigentlich nur durch Zufall gegangen“, erinnert sie sich. „Mein Vater, ein armer Hirte, lieferte mich in der Schule ab, damit ich dort auf einen passenden Mann warten konnte. Der Unterricht fand unter einem Baum statt, und ein katholischer Priester hat die Kosten dafür übernommen.“
Ihre Eltern hatten nur zwei Kinder, beide Mädchen. In der Hirtengemeinschaft sei dies ungewöhnlich gewesen, erzählt sie. „Mein Vater hat nie eine zweite Frau geheiratet, selbst dann nicht, als meine Mutter starb.“
Die Samburu sind eng mit deden Maasai verbunden. Obwohl sie nur 1,6 Prozent der 41,6 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung Kenias ausmachen, eilt ihnen der Ruf voraus, traditionell schlecht mit ihren Mädchen umzugehen und unter anderem grausame Abtreibungen durchzuführen.
Brutale Abtreibungen inzestuös gezeugter Kinder
Laut Lolonju Lerukati, die sich als Angehörige der Samburu in der Öffentlichkeit gegen Genitalverstümmelungen bei Mädchen ausspricht, haben Töchter in Familien kaum eine Möglichkeit, Verstümmelungen, frühen Heiraten, brutalen Schwangerschaftsabbrüchen und mehreren Geburten vor dem 18. Lebensjahr zu entgehen. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass diese Mädchen eine Ausbildung erhalten.
Mit zwölf Jahren wurde auch Meriwas beschnitten. Bei den Samburu liegt die Rate der Genitalverstümmelungen bei nahezu 100 Prozent, wie der jüngste staatliche Gesundheits- und Demografiebericht (KDHS) ergeben hat. Dabei stellt ein 2010 erlassenes Gesetz solche Praktiken unter Strafe.
Nachdem Jane Meriwas das College abgeschlossen hatte, suchte sie keine Arbeit, sondern kehrte in ihr Dorf zurück, um die Menschen über die gefährlichen Praktiken aufzuklären. Ihre Sensibilisierungskampagnen führt sie mittlerweile seit zehn Jahren durch.
Die bekannte Menschenrechtsaktivistin hat die Entwicklungsorganisation der Samburu-Frauen für Bildung und Umwelt gegründet, die für die Schulausbildung einiger Mädchen zahlt, die vor früher Verheiratung und Beschneidung gerettet worden sind. Lerukati lobt Meriwas‘ Stärke, mit der sie dem Widerstand aus ihrer eigenen Gemeinschaft trotzt.
Die Samburu praktizieren einen Initiationsritus, der Frauen als Besitz von Männern kennzeichnet. Ein „Moran“ (Krieger) kauft etwa zehn Kilo Perlen und macht daraus Halsketten für ein Mädchen, das ihn interessiert. Wenn dieses Mädchen, das für gewöhnlich zwischen neun und 15 Jahre alt ist, diese Ketten trägt, wissen alle, dass es die Freundin eines Moran ist.
„Da die Moran mit den Mädchen ungeschützten Sex haben, werden sie irgendwann schwanger. Die Kinder dürfen sie aber nicht austragen. Die intimen Verhältnisse gelten als inzestuös, da beide Partner aus dem gleichen Clan stammen. Für ein schwangeres Mädchen sind die Konsequenzen äußerst riskant. „Wenn der Verdacht auf eine Schwangerschaft besteht, lockt eine ältere Frau das Mädchen in den Wald. Dort drückt sie ihr mit Gewalt so lange auf den Bauch, bis der Fötus ausgestoßen wird“, sagt Meriwas.
Wenn diese Abtreibungsversuche fehlschlagen, sind die jungen Mütter gezwungen, die Neugeborenen sofort zu vergiften. Wenn sie sich weigern, werden die Babys im Wald ausgesetzt, wo sie von Hyänen gefressen werden. Andere werden weggegeben, oftmals an die benachbarten Turkana.
Frauen treiben nun Veränderungen voran
Meriwas hat aber inzwischen erreicht, dass die Samburu andere Riten in Erwägung ziehen. „Die Frauen beginnen die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Das heißt, dass ein Mädchen Perlen tragen kann, ohne einem Moran auf Abruf zur Verfügung zu stehen.“
Auch Lerukati bestätigt, dass sich langsam etwas ändert. „Das Perlenanlegen war außerhalb der Samburu kaum bekannt. Meriwas hat aber davor gewarnt und sich dabei selbst in Gefahr gebracht.“
Die Aktivistin Grace Gakii erklärt, dass der Anteil der beschnittenen Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren deutlich sinkt. „Der Schulbesuch macht sicherlich viel aus. Doch eigentlich haben erst Menschen wie Meriwas, die diese Behandlung selbst erlitten haben, tatsächlich etwas verändert.“
Laut dem Gesundheitsbericht ist der Anteil von Frauen in Kenia in dieser Altersgruppe, deren Genitalien verstümmelt wurden, von 38 Prozent im Jahr 1998 auf 27 Prozent 2008 zurückgegangen. (Ende)
Titelbild: Jane Meriwas spricht zu Samburu-Frauen in Kipsing Plains in der Region Rift Valley (Foto: Jane Meriwas).