Online Talk mit Kevin Chaplin am Welttag der Philosophie
Afrikanische Philosophien sind bei uns noch weitgehend unbekannt. Am Welttag der Philosophie sprechen wir mit Kevin Chaplin über einen bemerkenswerten Aspekt der südafrikanischen Lebensphilosophie Ubuntu: die Bereitschaft zur Vergebung. „Es gibt nichts, was nicht vergeben werden könnte“, war Desmond Tutu überzeugt.
Kevin Chaplin war mit Desmond Tutu gut bekannt. Als Geschäftsführer der Amy Foundation in Kapstadt setzt sich Chaplin für die Chancengleichheit von Jugendlichen in den Tonwships ein.
Die Stiftung ist aus einem Akt der Vergebung entstanden: Sie wurde von Linda und Peter Biehl nach der Ermordung ihrer Tochter Amy 1993 im Township Gugulethu in Kapstadt ins Leben gerufen. Zwei von Amys Mördern wurden später von der Foundation beschäftigt.
- Termin: 16. November, 18:00 Uhr
- Ort: Zoom, https://us06web.zoom.us/j/9446574324 (Meeting ID: 944 657 4324)
- In Kooperation mit: Afro-Asiatisches Institut, Friedensbüro Salzburg, Zentrum Theologie Interkulturell und Studium der Religionen, Lange Nacht der Philosophie
Hintergrund: Die Ermordung von Amy Biehl
1993, im Jahr vor den ersten freien Wahlen, stand Südafrika an der Schwelle zum Bürgerkrieg. Aufstände in den Townships und zahlreiche Anschläge kosteten mehr als 3.700 Menschen das Leben. Der bewaffnete Flügel des Pan Africanist Congress (PAC) versuchte mit Angriffen auf weiße Zivilist*innen die Politik von Nelson Mandela zu sabotieren, der für ein geeintes und demokratisches Südafrika eintrat.
Nach einem Jahr in Südafrika stand die damals 26-jährige Amy Biehl unmittelbar vor ihrer Rückkehr in die USA. Die Fulbright-Stipendiatin war nach Kapstadt gekommen, um Frauenrechte zu studieren und die Wahlvorbereitungen zu unterstützen. An jenem verhängnisvollen 25. August 1993 wurde sie von drei Freunden gebeten, sie mit ihrem Mazda 323 zu einer Bushaltestelle im Township Gugulethu zu fahren.
Als Amy Biehl und ihre Freunde Gugulethu erreichten, trafen sie auf einen wütenden Mob aus PAC-Sympathisanten. Jemand aus der Menge rief: „Here comes a settler!“ In der Folge prasselten Steine und Ziegel auf das Auto ein. Ein Stein durchbrach die Windschutzscheibe und verletzte Amy Biehl schwer am Kopf. Mehrere PAC-Anhänger skandierten: „One settler, one bullet.“
Amy Biehl stieg aus ihrem Wagen, um in der Caltex-Tankstelle an der NY1 Schutz zu suchen. In der Folge wurde sie vom Mob umringt. Sie wurde getreten, mit Steinen beworfen und erlitt mehrere Messerstiche. Sie schaffte es, sich vom Boden aufzuraffen und zur Tankstelle zu gelangen. Dort verlor sie das Bewusstsein. Kurz Zeit darauf verstarb sie in der Polizeistation von Gugulethu, die nur wenige Blocks vom Tatort entfernt lag. Ihre drei Freunde überlebten den Vorfall.
„Vergebung ist befreiend.“
Bald darauf wurden vier Burschen für den Mord an Amy Biehl verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe von 18 Jahren verurteilt. Amys Eltern, Linda und Peter Biehl, reisten nach dem tragischen Tod ihrer Tochter nach Kapstadt. Dort trafen sie später die Mörder ihrer Tochter. Das Ehepaar erkannte, dass die Jugendlichen selbst Opfer des rassistischen Apartheid-Systems waren – ihr Hass hatte sich nicht gegen ihre Tochter persönlich sondern gegen Weiße im Allgemeinen gerichtet.
Im Jahr 1998 wurden die vier jungen Männer vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) begnadigt, da sie ihre Tat zutiefst bedauert und um Vergebung gebeten hatten. Zuvor hatten Linda und Peter Biehl erklärt, die Freilassung der Mörder ihrer Tochter zu unterstützen. In einem Interview erklärte Peter Biehl:
„Für uns öffnet Vergebung die Tür zu einem erfüllten und produktiven Leben. Wir können Amy ehren, ihren Überzeugungen treu bleiben und ihre und unsere Arbeit fortsetzen. Vergeben ist befreiend. Im Gegensatz dazu scheint es uns, dass Hass enorme Energie – negative Energie – verbraucht und die Menschen ihrer Produktivität beraubt.“ (Quelle: Steven D. Gish , Amy Biehl’s Last Home, Athens 2018, S. 240 f.)
Film über Amy Biehl
Titelbild: Gedenkstätte für Amy Biehl bei der Caltex-Tankstelle im Township Gugulethu, Kapstadt (Foto: Martin Sturmer)