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Gefährlicher Bauboom im Senegal

Von Issa Sikiti da Silva | 11. Oktober 2012

Dakar (IPS/afr). Im Senegal boomt das Baugewerbe. Das Problem ist nur, dass die Häuser, die weniger als 60.000 US-Dollar kosten und somit keiner Baugenehmigung bedürfen, auch nicht von staatlicher Seite überprüft werden. In der Mehrheit stellen die Gebäude somit eine Sicherheitsgefahr für ihre Bewohner dar, wie jüngste Vorfälle zeigten.

Nach Angaben des „Zentrums für die Finanzierung eines bezahlbaren Häuserbaus in Afrika“ (CAHF) müssen zwar auch die Bauherren preiswerter Häuser gewisse Bauvorschriften einhalten. Doch deren Umsetzung wird nicht kontrolliert.

Jüngste sintflutartige Regenfälle haben die Kehrseite des Baubooms deutlich vor Augen geführt. Die Niederschläge der letzten beiden Monate verwandelten Straßen und Wege in reißende Flüsse und Seen und setzten Stadthäuser, Autos, Ernten, Vieh und Möbel unter Wasser. Mindestens 18 Menschen kamen ums Leben.

Urbanisierung schreitet voran

Die Globale Fazilität für Katastrophenreduktion hatte bereits im April darauf hingewiesen, dass Senegals voranschreitende Verstädterung um 3,3 Prozent zu einem Bauboom geführt hat. Durch die Entwicklung sei jedoch die Wasseraufnahmefähigkeit der Böden empfindlich zurückgegangen.

Die senegalesische Hauptstadt Dakar ist für Überschwemmungen extrem anfällig. Am 16. August fielen allein in zwei Stunden 156 Millimeter Regen. Solche Niederschläge hatte das Land zuletzt vor 30 Jahren erlebt. wie das nationale Wetterbüro berichtete.

Die Güsse im August und Anfang September haben 35.000 Familien obdachlos gemacht. Insgesamt sind mehr als 400.000 Menschen betroffen. Untersuchungen stehen noch aus, ob der Zusammenbruch der vielen Häuser auf Verstöße gegen die Bauvorschriften zurückzuführen ist.

Ministerpräsident Abdoul Mbaye hatte schnell die Schuldigen der Katastrophe ausgemacht. Schuld seien die Menschen, die sich nicht an die Bauanleitungen gehalten hätten, sagte er und kündigte an, Verstöße gegen die Bauvorschriften streng zu ahnden.

Im Senegal mangelt es derzeit an 200.000 Wohneinheiten. Jährlich wachse das Defizit um zehn Prozent, wie aus dem Jahrbuch der CAHF von 2011 hervorging. Die in Südafrika angesiedelte Organisation macht dafür unter anderem einen begrenzten Zugang zu Land, die hohen Kosten der Baumaßnahmen und den begrenzten Zugang zu Finanzierungshilfen verantwortlich.

CAHF-Sprecherin Kecia Rust zufolge ist nicht klar, wie viele Häuser von Privatpersonen in Eigenregie gebaut werden. Berichten zufolge kann davon ausgegangen werden, dass dies für Mehrheit der Gebäude zutrifft. Afrika erlebt derzeit die höchsten Urbanisierungsraten der Welt.

Jeder Zweite wird 2030 in der Stadt leben

Mehr als ein Drittel der eine Milliarde Afrikaner lebt derzeit in städtischen Gebieten. Bis 2030 wird es die Hälfte sein, wie das UN-Programm für menschliches Siedlungswesen (UN-HABITAT) prognostiziert. Die senegalesische Hauptstadt Dakar belegt von den 18 am schnellsten wachsenden afrikanischen Städten den sechsten Platz.

Auch die Größe der Haushalte Dakars hat zugenommen. Lebten dort 2009 statistisch gesehen etwa 9,6 Personen unter einem Dach, waren es im kenianischen Nairobi durchschnittlich nur drei und im südafrikanischen Johannesburg 3,7, wie ein Bericht 2009 des afrikanischen Infrastrukturerfassungsprogram „Africa Infrastructure Country Diagnostic“ hervorhebt.

Dakar ist die Heimat von derzeit 2,5 Millionen der 12,7 Millionen Senegalesen. Das durchschnittliche städtische Bevölkerungswachstum zwischen 2010 und 2030 belief sich nach Angaben des UN-Bevölkerungsfonds auf etwa 3,4 Prozent.

Rust zufolge besteht die erhöhte Nachfrage nach Wohnraum in erster Linie bei Haushalten, die sich kein Bauunternehmen leisten können. Sie gehören zu den 60 Prozent der Bevölkerung, die mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auskommen müssen. „Die Folge ist, dass sie ihre Häuser selber bauen. Natürlich geben sie sich alle Mühe, doch ohne Bauleitung und technische Hilfe geht es halt nicht besser. Manchmal liegt es nur an der Zusammensetzung des Mörtels. Enthält er zu viel Sand, löst er sich bei Überschwemmungen auf.“

Ein Mann, der in Guediawaye, einem Stadtteil von Dakar, auf einer Baustelle arbeitet, gab an, nichts von Bauvorschriften zu wissen. „Wenn es so etwas gibt, warum startet die Regierung keine Tür-zu-Tür-Kampagne, um uns aufzuklären? Mein Haus ist fast fertig und alles läuft gut“, versicherte er. „Ein Inspekteur ist nicht erschienen. Ich brauche aber auch keinen.“

„Jeder baut, wie’s ihm beliebt“

Ein Bauunternehmer, der sich Anonymität ausbat, erklärte gegenüber IPS: „Bauvorschriften? Was für Bauvorschriften? Gibt es so etwas überhaupt in unserem Lande? Senegal ist ein Dschungel, in dem jeder baut, wie’s ihm beliebt.“

Dem Makler Stephane Touré zufolge werden Bauvorschriften nicht in dem Maße durchgesetzt, wie dies erforderlich wäre. „Du bekommst eine Baugenehmigung und alle erforderlichen Papiere, um ein Haus zu bauen. Und nur wenn du Glück hast, kommt ein Kontrolleur vorbei, um nachzusehen, ob du dich an das ursprüngliche Design gehalten hast. Das ist nicht immer der Fall. Schließlich befinden wir uns in Senegal.“

Ein Gebäudeinspekteur, der ebenfalls auf Anonymität bestand, erklärte, dass personelle und finanzielle Kapazitäten fehlten, um alle Baustellen kontrollieren zu können. „Wir sind viel zu wenige und können nicht überall sein. Und dann gibt es auch noch die Korruption.“ Normalerweise vergehen 90 Tage, bis ein Bauherr in Senegal eine Baugenehmigung erhält. Doch mit den richtigen Kontakten kann das Ganze innerhalb einer Woche abgewickelt werden.

Senegal liegt auf dem 182 Staaten umfassenden Korruptionsindex 2011 von ‚Transparency International‘ auf dem 112. Platz. Innerhalb Westafrikas ist die Korruption auf den Kapverden am geringsten, in Guinea am größten.

Ressourcenmangel verhindert Kontrollen

Der Wohnungs- und Stadtplanungsministerin Khoudia Mbaye Seydi räumte unlängst ein, dass dem Staat die personellen und finanziellen Ressourcen fehlen, um den Bausektor strikt zu kontrollieren. „Dieser Mangel ist ein ständig wiederkehrendes Problem“, sagte sie. In der westsenegalesischen Stadt Kaolack mussten 30 Gebäude geschlossen werden, weil sie nicht über die erforderlichen Baugenehmigungen verfügten.

Rust bedauerte ferner, dass die rapide Verstädterung seit dem 1970er Jahren nicht in geordneten Bahnen stattfindet. So hätten sich Neuankömmlinge in Dakar an den seit den 1970er und 1980er Jahren ausgedorrten Flussufern niedergelassen. „Es spielt keine Rolle, wie groß die dort erbauten Häuser sind. Allein schon die Tatsache, dass sie im Uferbereich liegen, bedeutet, dass sie bei starken Regenfällen in sich zusammenfallen.“

Aufgrund unzureichender beziehungsweise fehlender Abwassersysteme in vielen Gebieten hält sich nach Regenfällen das Wasser über Wochen in den Straßen, bevor es von der Sonne getrocknet wird. Rust zufolge bleibt bei starken Regenfällen nichts anderes übrig, als die Menschen aus den Flusstälern zu evakuieren. „Die Stadt braucht dringend einen Masterplan, um für Flutsituationen gewappnet zu sein“, meinte sie. „Und dann müssen wir den Niedrigverdienern helfen, Häuser zu bauen, die den Umweltrisiken gewachsen sind.“ (Ende)

Titelbild: Dieses Haus in Dakar hat unter 60.000 US-Dollar gekostet. Die Einhaltung der Bauvorschriften wurde daher nicht kontrolliert. (Foto: Fatuma Camara/IPS)